Shenzhou 9 – Ganz vorne gelandet

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Der abschließende Teil der Landung machte einen…nun ja…sportlichen Eindruck. Auf den letzten Metern des Fallschirmabstiegs von Shenzhou 9 war deutlich erkennbar, dass die Winddrift in Bodennähe nicht von Pappe war. Die Bremsraketen zündeten, die Kapsel sprang noch einmal hoch, rollte kopfüber und blieb schließlich an einem kleinen Abhang auf der Seite liegen. Aber es sah wohl dramatischer aus, als es tatsächlich war. Die breit grinsenden Astronauten, die wenig später von der Bodencrew aus der Kabine befreit wurden, machten jedenfalls keinen sonderlich geschockten Eindruck.

Die letzten Meter für Shenzhou 9 Credit: Chinanews

Die Auswahl der Landezone sollten die chinesischen Offiziellen aber vielleicht doch noch einmal überdenken. Das aktuelle Zielgebiet ist topografisch eher anspruchsvoll gestaltet. Es hat Hügel, Täler und kleinen Wasserläufe. Dabei würde man sich als bevorzugte geografische Textur für das Aufsetzen einer bemannten Raumkapsel wohl eher langweilig-topfebenes Gelände wünschen. Insbesondere in der Funktion als Besatzungsmitglied.

Landung in anspruchsvoller Topografie – Credit: ChinaNews

Ein interessantes Detail unmittelbar nach der Landung (man vergleicht ja immer ein wenig mit dem russischen Lande- und Bergungsverfahren):  Die Shenzhou-Kapsel ist groß genug, dass ein Mitglied der Bodenmannschaft einsteigen, und der Crew im Inneren beim Abschnallen helfen kann. In russischen Kapseln ist für so eine Übung zu wenig Platz, solange noch die komplette Crew drin ist.

Fast den Abhang hinuntergerollt – Credit: ChinaNews

Die drei Raumfahrer der Shenzhou-9 sind also wieder sicher auf der Erde zurück und damit ist es Zeit für ein kleines Fazit. Und das lautet: Was China mit diesem Flug erreicht hat, war über weite Strecken sehr, sehr abgeklärt und professionell. Beeindruckend auch der Grad an Offenheit, mit der über jeden Schritt im Vorfeld und während der Mission berichtet wurde. Ausführliche TV-Übertragungen gab es nicht nur in chinesisch sondern auch in englischer Sprache. Kommentiert von Experten, die auch wirklich Experten waren.

Die Crew wird aus der Kapsel befreit – Credit: ChinaNews

Wer im chinesischen Fernsehen die Startvorbereitungen verfolgte, war verblüfft über die Effizienz und Schnörkellosigkeit der Abläufe. Beispielsweise das Einsteigen in die Raumkapsel. Der ganze Vorgang dauerte gerade fünf Minuten. Das Orbitalmodul war groß genug, dass dort ein Helfer bequem und aufrecht stehend der Crew beim Durchstieg in die Aufstiegs- und Rückkehrkabine assistieren konnte. Ähnliches hat man zuvor nur im Shuttle gesehen.

Astronautin Liu Yang verlässt die Kapsel – Credit: ChinaNews

Eine Reihe von US-Medien wurde bei der Berichterstattung über das Ereignis nicht müde, das Shenzhou/Tiangong-System als antiquierte Technologie zu bezeichnen. Als etwas, das die USA und die Sowjetunion schon in den sechziger und siebziger Jahren konnten. Daraus konstruierten diese Medien flugs einen Vorsprung dieser beiden Länder gegenüber China von 40 Jahren. Dümmer ist selten argumentiert worden, denn weiter als China ist derzeit weltweit auch sonst niemand. Es mag vielleicht einmal so gewesen sein, zu den Zeiten von Apollo und dem Shuttle. Aber das ist Vergangenheit. Das, was China mit dieser Mission erreichte, ist nicht der Stand des Jahres 1971 sondern “state of the art” des Jahres 2012.

Alle drei Taikonauten sind in guter Verfassung – Credit: ChinaNews

Fakt ist auch, dass die Amerikaner heute froh wären, wenn sie mit ihren bemannten Raumtransportprogrammen über Chinas heutigen Stand verfügen würden. Es wird mindestens drei Jahre dauern, bis die USA wieder in der Lage sind, mit eigenen Mitteln bemannte Orbitalflüge durchzuführen.

China ist somit eine von derzeit nur zwei Nationen weltweit, die bemannte orbitale Raumfahrt betreiben können. Und China braucht sich hier nicht hinter den Russen zu verstecken. Das Gegenteil ist der Fall. Das System Shenzhou mag zwar oberflächlich aussehen wie das russische Sojus-System, und tatsächlich ist es auch der Ausgangspunkt der chinesischen Entwicklung. Aber China hat dort weiter gemacht, wo Russland vor Jahrzehnten stehen geblieben ist. Zwischen beiden Systeme ist ein Unterschied wie zwischen dem VW-Golf des Jahres 1974 und dem Golf VII des Jahres 2012. Shenzhou ist größer, moderner, bequemer, leistungsfähiger und fast eine Tonne schwerer als sein russisches Gegenstück.

Vergleich zwischen dem russischen Sojus-TMA (links) und Shenzhou (5 und 6). Bildrechte: Dietmar Röttler

Die Mission hat aber auch klargemacht, dass China noch das Eine oder Andere zu lernen hat. Wie sollte es auch anders sein. Die Innenausstattung der Mini-Station ist ergonomisch deutlich fehlerhaft gestaltet, was ein wenig erstaunt, kann man doch davon ausgehen, dass Chinas Ingenieure die Einrichtung der Internationalen Raumstation genau studiert haben. Es gibt offensichtlich zu wenige Haltegriffe und Fußschlaufen an Bord und die Idee, flexible, weiche, nachgiebige Boden- und Wandabdeckungen einzubauen war ebenfalls nicht besonders gut. So konnte die Crew nie die Grazie und Effizienz des Schwebens entwickeln, welche die Mannschaften der ISS auszeichnet. Die können sich von festen Böden und Wänden abstoßen, zielgenau auf einen Punkt zufliegen und finden überall adäquate Haltevorrichtungen und Velcro-Pads vor, um Geräte “abzustellen” und sich selbst zu verankern.

Aber Dinge wie diese werden die Chinesen schnell lernen und ich bin überzeugt, dass man viele kleine praktische Änderungen schon in Tiangong-2 finden wird, die im nächsten Jahr in die Umlaufbahn gesendet werden soll.

Bergung der Kapsel – Credit: ChinaNews

Jetzt aber steht für die chinesischen Techniker die Auswertung der Erfahrungen aus der aktuellen Shenzhou-9 Mission an. Bereits in wenigen Monaten wird eine weitere Crew zu Tiangong 1 aufbrechen und die beim gegenwärtigen Flug gemachten Erfahrungen umsetzen.

Und zum Schluss noch ein Wort zu einem Punkt, der in den Medien immer wieder strapaziert wird. Die Behauptung nämlich, dass China sich in einem “Weltraum-Rennen” mit den USA befinde. Nichts könnte falscher sein. Wenn China mit irgendjemandem in einem Rennen ist, dann höchstens mit sich selbst. “Rennen” bedingt auch, dass man etwas sehr schnell macht. Und dafür sieht man in China weder einen Bedarf noch betrachtet man es dort als eine Tugend.

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

5 Kommentare

  1. Jetzt herrscht Klarheit …

    Nun dürften sich ja wohl auch die merkwürdigen Gerüchte um die Raumfahrerin Liu Yang erledigt haben.

    In der Tat kann es den Chinesen vollkommen piepe sein, wie irgendwelche westlichen Beobachter das Shenzhou-System gegenüber anderen Konzepten bewerten. Die haben jetzt ihren eigenen, offenbar funktionierenden Zugang zum Weltall. Punkt.

    Schönheitspreise gibt’s bei der Weltraumfahrt nicht, es kommt darauf an, dass man die Leute sicher nach oben und sicher nach unten bekommt und dass zwischendurch auch alles funktioniert. Diese Randbedingungen scheinen erfüllt zu sein.

    Wie unlängst verlautbart, belaufen sich die von China bis jetzt aufgewendeten Kosten für ihr bemanntes (bzw. jetzt auch befrautes) Weltraumprogramm auch 6 Milliarden Dollar, die Hälfte davon für die Systementwicklung für Reddezvous- und Andockmanöver. Nicht gerade eine astronomische Summe, selbst wenn man berücksichtigt, dass das Gehaltsniveau udn Preisgefüge in China anders ist als im Westen.

  2. Taikonautin hält sich mit Tai Chi fit

    Mir gefällt das Schlusswort in dem Artikel hier: “Wenn China mit irgendjemandem in einem Rennen ist, dann höchstens mit sich selbst. “Rennen” bedingt auch, dass man etwas sehr schnell macht. Und dafür sieht man in China weder einen Bedarf noch betrachtet man es dort als eine Tugend.”

    Dazu würde auch passen, dass sich die Taikonautin Liu Yang, die erste chinesische Frau im All, mit Tai-Chi-Übungen fit hält.
    http://www.spiegel.de/…im-all-video-1205798.html

    Tai Chi Chuan ist eine alte innere Kampfkunst, bei welcher alle Bewegungen in einer Art Zeitlupentempo ausgeführt werden. Es soll von den Wudang-Bergen stammen, die auf eine lange zurückreichende daoistische Tradition blicken. Beim Üben verbinden sich gesundheitliche Aspekte mit Selbstverteidigung und Meditation. Tai Chi bedeutet so viel wie das “Höchste Letzte” und “Chuan” bedeutet Faust.
    Tai Chi steht einerseits für eine verbreitete Kampfkunst und Bewegungsmeditation, andererseits für einen Bereich der chinesischen Philosophie. Heutzutage wird der Aspekt der Kampfkunst beim Tai Chi aber weitgehend vernachlässigt und das Ganze nur mehr als Gymnastik angesehen. Daher lässt man das “Chuan” auch meistens weg. Mich würde auch interessieren inwieweit man im kommunistischen China noch das taoistische Prinzip von Yin und Yang mit einbezieht, nach welchem jede Kraft und jeder Zustand sich mit seinem Gegenteil in einem dynamischen Gleichgewicht befindet und dieses Gleichgewicht niemals statisch ist. Denn alle Gegensätze sind miteinander verbunden und das eine ist die Quelle des anderen, auch wenn nach außen hin eine Kraft überwiegt.

    @Michael Khan
    Welche “merkwürdigen Gerüchte um die Raumfahrerin Liu Yang” hat es denn gegeben? Ich habe davon nichts mitbekommen.

  3. @Mona: Tai Chi im Weltraum

    Den Chinesen werden immer wieder als reine CopyCats dargestellt, die beispielsweise in ihrem Raumfahrtprogramm nur das abspulen, was andere Nationen schon vor Jahrzehnten vorgemacht hätten.

    Ganz ähnlich schrieb man früher über Japan.

    Doch Technologie, die es schon gibt, nicht zu nutzen, wäre dumm und eine ungeheure Zeitverschwendung. Nicht die Kopie ist dabei das Ziel, sondern das Verständnis. Wer eine Technologie wirklich versteht kann sie auch verbessern oder schliesslich durch eine völlig neue ersetzen, wenn er die richtige Geisteshaltung mitbringt.

    Zudem bedeutet die Übernahme einer Technologie nicht, dass man auch die gesamte Kultur und das Denken übernimmt. Gerade die Tai Chi-Übungen im Weltraum zeigen, dass man durch Aneignung einer fremden Technologie nicht seine Seele und Kultur verlieren muss. Technolgie aus dem Westen bedeutet nicht Mind-Cloning, sondern nur Aneignung.

  4. Richtigstellung @Martin Holzherr

    “Zudem bedeutet die Übernahme einer Technologie nicht, dass man auch die gesamte Kultur und das Denken übernimmt. Gerade die Tai Chi-Übungen im Weltraum zeigen, dass man durch Aneignung einer fremden Technologie nicht seine Seele und Kultur verlieren muss. Technolgie aus dem Westen bedeutet nicht Mind-Cloning, sondern nur Aneignung.”

    So hatte ich das eigentlich auch gar nicht gemeint. Die Menschen haben doch schon immer voneinander gelernt. Früher verbreitete sich das Wissen über Handelsruten und heute, in einer globalisierten Welt, über moderne Medien. Die Chinesen übernehmen westliche Technik und wir (mich eingeschlossen) praktizieren dafür Tai Chi. So einfach ist das!
    Ich hatte die Chinesen auch nicht als “reine CopyCats dargestellt”. Zumal China über eine lange und reiche Kultur verfügt und auch wichtige Erfindungen machte. Momentan sind sie uns da sogar dicht auf den Fersen.
    http://www.focus.de/…weltmeister_aid_738780.html

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