Die „Top 10“ des Raumfahrtjahres 2012

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Nach der Bilanz des Jahres 2011 richten wir den Blick nun nach vorn. Das Raumfahrtjahr 2012 wurde – und das sollte inzwischen niemanden mehr überraschen – von China eingeläutet. Der erste Orbitalflug des neuen Jahres begann in den frühen Morgenstunden des 9. Januar. Dabei brachte eine Trägerrakete des Typs Langer Marsch 4B den chinesischen Erdbeobachtungssatelliten Zi Yuan 3 und den von der indischen Raumfahrtbehörde gebauten Meeresüberwachungssatelliten Vesselsat 2 in eine polare, sonnensynchrone Umlaufbahn.

Dieser erste Start in 2012 wird aber, trotz seiner internationalen Beteiligung, am Ende unter dem Begriff „Routinemission“ abgelegt werden und selbst in der Raumfahrtszene kein wesentliches Aufsehen erregen. Er gehört eindeutig nicht zu den bedeutenden Flügen des neuen Jahres.

Das Raumfahrtjahr 2012 wurde – wenig überraschend – von China eingeläutet. Eine Trägerrakete des Typs Langer Marsch 4B brachte am 9. Januar den Erdbeobachtungssatelliten ZiYuan 3 in eine polare Erdumlaufbahn.

Die wirklich „wichtigen Missionen“ – und diese Wertung ist zugegebenermaßen sehr subjektiv – sind nachfolgend aufgelistet. Um die Sache spannender zu machen beginne ich meine persönliche Vorschau mit Platz 10, der am wenigsten „wichtigen“ Mission, und beschließe mit meiner Nummer 1, der meiner Ansicht nach bedeutendsten Mission des Jahres 2012.

Aber womöglich haben Sie eine komplett andere Meinung dazu. Jetzt aber meine „Top 10“ des Raumfahrtjahres 2012

1.    Erstflug der Vega

Das war schon fast nicht mehr zu erwarten, aber nun scheint es doch bald soweit zu sein: Wahrlich kein Glanzstück europäischer Weltraumtechnik, aber doch ein Meilenstein, der mit vielen Jahren Verzögerung jetzt endlich erreicht ist. Der Erstflug dieses europäischen Trägers für kleine Nutzlasten war bis vor wenigen Tagen noch für den 26. Januar angesetzt ist aber inzwischen schon beim 7. Februar gelandet. Mag aber gut sein, dass wir am Ende froh sein können, wenn er überhaupt im Jahre 2012 stattfindet. Einen Rekord hat die Vega jetzt schon sicher: Sie hat ihre ursprüngliche Zeitvorgabe von sechs Jahren Entwicklungszeit um 100 Prozent überschritten.

Vega in der Startzone. Hier bei einem Test im Oktober 2011. Credit: ESA

2.    Russland führt 2012 neun Versorgungsmissionen zur ISS durch

Russland wird ab dem Jahr 2012 (wie schon einmal in der Periode 2003 – 2005) die Hauptlast bei Betrieb und Versorgung der ISS schultern müssen. Alle Besatzungen dieses Jahres, und für viele weitere Jahre, werden mit russischen Raketen und russischen Raumschiffen zur Station transportiert. Zusätzlich startet Russland in diesem Jahr auch noch fünf Progress-Versorgungsschiffe. Schon um der Raumstation willen sollten wir Russland im Jahre 2012 ein glücklicheres Raumfahrtjahr wünschen als es das Jahr 2011 war.

3.    Sierra Nevada „Dream Chaser“ beginnt mit den Drop Tests

Der „Dream Chaser“ ist der Beitrag der Sierra Nevada Corporation zum CCDev-Programm (Commercial Crew Development) , bei dem ein privates orbitales Transportsystem vor allem für die Transporte von US-Astronauten zur ISS geschaffen wird. Noch in diesem Jahr soll der „Dream Chaser“ – nach einigen so genannten Captive Carry-Flügen – mit den Drop Tests beginnen, für die er in großer Höhe von einem Flugzeug abgesetzt wird. Als Trägerflugzeug wird dabei der „WhiteKnightTwo“ von Scaled Composites eingesetzt. Die selbe Maschine, die auch das suborbitale SpaceShipTwo von Virgin Galactic auf Abwurfhöhe bringt.

NASA-Administrator Charles Bolden im Cockpit-Simulator des “Dream Chaser”. CR: Sierra Nevada Corporation

4.    ATV 3 „Edoardo Amaldi“ und HTV 3 fliegen zur ISS

Europas und Japans Versorgungsschiffe für die Internationale Raumstation werden in diesem Jahr je einen Einsatz erleben. Derzeitige Plandaten: ATV am 9. März, HTV am 26. Juni.

5.    SpaceShipTwo beginnt mit den angetriebenen Flügen

In diesem Frühsommer sollten endlich, nach vielen Verzögerungen, die ersten angetriebenen Flüge des SpaceShipTwo beginnen. Bislang fanden nur antriebslose Gleitflüge statt. Die Entwicklung des Hybridantriebs bei Sierra Nevada zeigte sich schwieriger als gedacht. Ein Grund, warum es mit dem Raketenmotor für SS2 so lange gedauert hat, liegt darin, dass das selbe Triebwerke auch für den orbitalen „Dream Chaser“ von Sierra Nevada verwendet werden soll.

Nach den letzten erhältlichen Meldungen sollen die Entwicklungsprobleme immer noch nicht vollständig ausgeräumt sein. Nur wenn alles glatt geht, wird SpaceShipTwo bis gegen Ende des Jahres die 100-Kilometer Marke knacken.

SpaceShipTwo wird vom Trägerflugzeug WhiteKnightTwo auf Abwurfhöhe getragen CR Virgin Galactic

6.    Die Raumstation wird weiter ausgebaut

Die meisten Menschen sind der Meinung, dass die ISS mit der Außerdienststellung des Shuttle fertig sei. Das ist nicht der Fall. In diesem Jahr sollte sie ein neues Großmodul erhalten, das die Bezeichnung „Nauka“ trägt. Es wird mit einer Proton K von Baikonur aus gestartet, ist 20 Tonnen schwer und 13 Meter lang und soll das Hauptforschungsmodul im russischen Segment der ISS werden.

Nauka seinerseits trägt den European Robotic Arm (ERA)“ eine weitere Beteiligung der ESA am Projekt der Internationalen Raumstation.

Hier kann es allerdings zu Verzögerungen kommen, denn obwohl Nauka weiterhin im ISS-Manifest für das Jahr 2012 geführt wird, gibt es in jüngster Zeit immer deutlichere Hinweise, dass sich der Start bis in den Spätsommer 2013 verzögern könnte.

Das Nauka-Modul wird bei Energia für den Start vorbereitet. Credit: Energia

7.    Orbital Sciences Cygnus beginnt mit der Versorgung der ISS

Im Mai soll die erste Cygnus-Kapsel von Orbital Sciences (OSC) zur ISS starten. Zuvor ist im März ein so genannter „Risk Reduction Flight“ ohne Nutzlast angesetzt, um die Antares-Trägerrakete (vormals Taurus 2) im Flug zu erproben. Ähnlich wie SpaceX versucht sich auch OSC mit einem absoluten Low-Cost-Konzept, angelehnt an die Prozeduren der Flugzeugindustrie. Es wird interessant, zu sehen, wie weit hier die Rechnung aufgeht.

Praktisch die komplette erste Stufe wird bei Yushnoje in der Ukraine gebaut. Bei den Triebwerken der ersten Stufe handelt es sich um überzählige Einheiten aus dem sowjetischen Mondprogramm. Sie sind dementsprechend über 40 Jahre alt. Und die Cygnus-Kapsel stammt zu wesentlichen Teilen von Alenia aus Turin. Lediglich das Programm-Management, der Bau der zweiten Stufe und die Endmontage erfolgen bei Orbital Sciences.

8.    SpaceX Dragon beginnt mit der Versorgung der ISS

Diese Auflistung hat es schon klargemacht: In der Raumfahrt ist die Verschiebung die Mutter aller Dinge. Deshalb sind die Termine für die ersten kommerziellen Flüge zur ISS mit Vorsicht zu genießen. Das gilt für Orbital Sciences wie für SpaceX. Aber nach der gegenwärtigen Planung dürften letztere früher dran sein.

So wie es jetzt aussieht, versucht SpaceX in den frühen Morgenstunden des 8. Februar die ersten Dragon-Mission zur ISS. Sollte dieser Flug gelingen (und hier sollte man die Hoffnungen keinesfalls zu hoch ansetzen), dann würde später im Jahr mit den regulären Versorgungsflügen begonnen werden.

Für die Internationale Raumstation wäre das ein enorm wichtiger Meilenstein, denn erst der Dragon – und nur er und für viele Jahre kein anderes Transportmittel – bringt wieder die Möglichkeit, signifikante Mengen an Material, in der Größenordnung von bis zu zwei Tonnen, von der ISS zur Erde zurück zu bringen.

Diese Dragon-Kapsel soll in wenigen Wochen zur ISS aufbrechen. Credit: SpaceX

9.    US Mars-Rover „Curiosity“ versucht Landung auf dem Mars

Der Start zum Mars gelang im letzten Jahr einwandfrei. Die Landung aber wird ein Vabanque-Spiel. In typisch amerikanischer Manier wurde hier mal wieder heftig gepokert und der Wert einer 2,5 Milliarden Dollar-Mission mit einer großen Zahl hoch riskanter technischer Neuerungen auf eine Karte gesetzt.

Wenn es klappt, bringt diese Mission eine Reihe von Erstleistungen in die Raumfahrt. Üblicherweise geht man ja eher Schritt für Schritt vor, aber hier…naja, das hatten wir schon. Neben dem sechsfachen Landegewicht der bis dato schwersten Rover (und selbst in der Kategorie „Stationärer Lander“ wäre es noch das mit Abstand höchste Landegewicht), dem Einsatz von Radionuklidbatterien statt Solargeneratoren, der größten jemals gebauten Landekapsel (der Hitzeschild hat einen Durchmesser von 4,57 Meter) und dem Versuch einer Präzisionslandung im Gale-Krater liegt der Nervenkitzel vor allem im „Skycrane“, einem aberwitzig komplizierten System aus acht Triebwerken und raffinierten mechanischen und pyrotechnischen Komponenten, die allesamt in den entscheidenden Sekunden einwandfrei funktionieren müssen.

Dieses enorm aufwendige System von Seilzügen und Winschen, mit dem der unter Raketenschub zentimetergenau die Höhe haltende Skycrane den 900 Kilogramm schweren Rover im Schwebeflug auf die Marsoberfläche abseilen soll, ist schon für sich alleine der Alptraum eines jeden Raumfahrttechnikers. Dabei ist nur ein Element dieser komplexen Landung. Hier ein Video vom “Landing System Drop Test“ bei dem für die mechanischen Komponenten des Rovers die letzten Sekunden in der Landephase simuliert werden.

10.  Chinesische Raumfahrer fliegen zur Tiangong-1 Miniraumstation

In diesem Jahr können wir zwei bemannte chinesische Raumflüge erwarten: Shenzhou 9 im späten Frühjahr und Shenzhou 10 im Spätherbst. Mit Shenzhou 9 dürften zwei Kosmonauten für etwa acht Tage im Weltraum verbleiben. Dies ist bereits eine Rekorddauer für China. Mit Shenzhou 10 könnten es drei Taikonauten sein, darunter die erste chinesische Frau im Weltraum, und die Dauer könnte hier bis zu 15 Tage betragen.

 

Soweit meine persönlichen Top 10. Es gibt aber noch viele weitere interessante Raumfahrt-Ereignisse im Neuen Jahr, wie beispielsweise die nächsten Testflüge der bisher enttäuschend erfolglosen Träger GSLV und KLSV aus Indien und Südkorea, die Flugversuche von Armadillo, Masten Space und Blue Origin sowie die mögliche Aufnahme der Flugtests der XCOR Lynx.

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

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