Die größte Gefahr für einen Astronauten besteht darin, zu ertrinken – Zweiter Brief

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Lieber Max,

So sah einer von den drei Druckanzügen aus, die sich Wiley Post machen ließ.
So sah einer von den drei Druckanzügen aus, die sich Wiley Post machen ließ. (Bild: Isaora)

hier bin ich wieder. Mit Teil 2 der Geschichte, warum die größte Gefahr für einen Astronauten darin besteht, zu ertrinken. Ich hab es ja letztes Mal schon geschrieben: die Sache mit den Raumanzügen ging mit dem Post los. Mit dem Wiley Post, dem einäugigen Amerikaner. Über den erzähle ich Dir jetzt mal was.

Wiley Post war ein unruhiger Geselle. Und ein großer Flugzeug-Narr. Er wollte eigentlich Pilot werden, und im ersten Weltkrieg mitmachen. Deswegen hatte er sich zur Armee gemeldet. Richtig, zur Armee, nicht zur Luftwaffe. Das war kein Irrtum von ihm, denn eine Luftwaffe gab es damals in Amerika noch gar nicht. Aber grade als seine Ausbildung angefangen hatte, war der Krieg auch schon vorbei. So wurde es nichts für ihn mit der Fliegerei.

Er dachte sich, es wäre vielleicht eine gute Idee, viel Geld zu verdienen. Dann könnte er sich selber ein Flugzeug kaufen. Also suchte er sich einen Job, bei dem man möglichst schnell möglichst viel verdienen konnte. Am besten bezahlt wurde die Arbeit auf den Ölfeldern von Oklahoma. Aber er bekam trotzdem das Geld nicht so schnell zusammen, wie er sich das vorgestellt hatte. Schließlich verfiel er auf den sehr dummen Einfall, ein Auto zu stehlen. Und das war nicht einfach ein Diebstahl sondern eher eine Art Raubüberfall. Prompt wurde er erwischt und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Im Gefängnis erkannte man aber, dass er eigentlich kein schlechter Kerl war. So wurde er schon nach 14 Monaten begnadigt. Als er aus dem Gefängnis kam, war er 26 Jahre alt und sein Traum von einem Flugzeug war weiter entfernt als je zuvor. Doch es gab eine andere Möglichkeit, um sich mit der Fliegerei zu beschäftigen. Vor allem für so einen Haudegen wie Wiley Post. Gerade in der Zeit, als er im Gefängnis war, hatte die große Zeit der “Fliegende Zirkusse” begonnen. Das waren herumziehende Flugakrobaten, die alles Mögliche machten. Hauptsache, es war gefährlich war und brachte die Leute zum Staunen. Sie flogen vor allem auf dem Land herum, schlugen ihre Zelte auf Wiesen und abgeernteten Feldern auf, und stellten ihre Flugzeuge in den Scheunen der Bauern unter. Deswegen nannte man sie die “Barnstormer”. Spricht man ziemlich genauso, wie man es schreibt. Wörtlich übersetzt heißt das “Scheunenstürmer”.

Was sie mit ihren Flugzeugen vorführten, war extrem gefährlich. Damals konnte man fast alles machen was man wollte, denn es gab für die Fliegerei noch keinerlei Vorschriften. Niemand sagte einem: „He, mach mal halblang, Du brichst Dir ja den Hals“. Man konnte im Rückenflug in nur drei Metern Höhe über die Leute donnern, unter Brücken und Stromleitungen durchfliegen, auf der Ladefläche von fahrenden Lastwagen landen, und manchmal sogar durch eine Scheune hindurchfliegen, in der hinten und vorne das Tor offen war. Womit wir wieder bei den “Scheunenstürmern” wären, denn manchmal klappte das Manöver nicht, das Flugzeug krachte in die Scheune hinein und die stürzte dann über ihm zusammen.

Einer dieser fliegenden Zirkusse war Burrell Tibbs and His Texas Topnotch Fliers (das könnte man mit: Burrell Tibbs und seine texanischen Meisterpiloten übersetzen). Und dort heuerte Wiley Post an. Und zwar als Fallschirmspringer, denn er hatte ja immer noch kein Flugzeug. Anders als heute war damals die Fallschirmspringerei eine gefährliche Sache, und man tat gruslige Dinge, um die Leute zu unterhalten. Zum Beispiel aus nur 50 Meter Höhe abspringen. Oder einen Fallschirm abwerfen und so tun, als stürzte man ab, nur um dann in letzter Sekunden einen zweiten Fallschirm zu öffnen.

Bei Burrell Tibbs und seine texanischen Meisterpiloten hatte Wiley Post zwar irgendwie mit Fliegerei zu tun, aber ein eigenes Flugzeug konnte er sich immer noch nicht leisten. Die Saison der Flugzirkusse ging immer vom Frühjahr bis in die ersten Herbsttage hinein. In der übrigen Zeit musste man auf andere Weise Geld verdienen. Die Piloten im Fliegenden Zirkus machten dann Passagierflüge. Aber was tat einer wie Wiley Post, der ja kein Flugzeug hatte? Er tat das, was er vor seiner Zeit als Gefangener gemacht hatte: Er arbeitete wieder auf den Ölfeldern von Oklahoma.

Im Oktober 1926 kam es da aber zu einem schrecklichen Unfall, bei dem er sein linkes Auge verlor. Das war zum einen ein furchtbarer Schicksalsschlag. Aber er war dennoch auch Glück. Die Versicherung zahlte nämlich für sein Auge 1.800 Dollar. Das war damals ein Haufen Geld, und Post konnte sich davon sein erstes Flugzeug kaufen. Einen Pilotenschein brauchte man damals übrigens noch nicht. Und es machte auch nichts, dass er nur noch ein Auge hatte. Heutzutage dürfte man ohne Pilotenschein und mit nur einem Auge gar nicht fliegen.

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Die “Winnie Mae”, das Flugzeug von Wiley Post (Bild: NASM)

Post bekam jetzt auch einen Job als Pilot. Er flog für zwei sehr reiche Ölbarone (so nannte man die Besitzer von Ölbohr-Firmen) namens Briscoe und Hall (das spricht man Bris-kou und Houhl). Die waren beeindruckt von seinen fliegerischen Fähigkeiten, dass sie ihm ein neues und viel besseres Flugzeug kauften, als das, was er hatte. Eines der besten, die es damals auf der Welt gab, nämlich eine Lockheed Vega (spricht man: Lok-hied We-gah). Dieses Flugzeug bekam den Namen “Winnie Mae” (gesprochen: Winnie Mäi”). Wiley Post stellte damit eine Reihe von Weltrekorden auf. Seine Spezialität waren Langstreckenflüge rund um die Welt. 1931 schaffte er es in neun Tagen. 1933 sogar in nur sieben Tagen. Für ein kleines Propellerflugzeug war das enorm schnell.

1934 befasste er sich mit den Möglichkeiten von Langstreckenflügen in großen Höhen. Er wollte dabei eine bestimmte sehr schnelle Windströmung nutzen, die es nur weit oben gibt, in der Region, die man Stratosphäre (spricht sich “stratosfere”) nennt. Die Windströmung bezeichnet man als Jetstream (Tschetstriem). Auf Deutsch heißt das “Strahlstrom”. Diese Jetstreams wehen also in der Stratosphäre in Höhen zwischen 10.000 und 14.000 Metern. Und sie können bis zu 500 Kilometer pro Stunde schnell sein. Wiley Post überlegte sich: Wenn man sich in so einem Jetstream mittreiben lässt, dann könnte man noch viele weitere Rekorde brechen.

Aber das Problem da oben kennst Du ja schon aus meinem ersten Brief. Man kann in dieser Höhe nur überleben, wenn man entweder eine Druckkabine hat (so wie bei einem modernen Verkehrsflugzeug) oder aber einen Druckanzug. Und da hatte Wiley Post gleich zwei Probleme. Es gab damals keine Druckkabinen und Druckanzüge gab es auch nicht. Aber eins von beiden brauchte er, wenn er so hoch oben fliegen wollte.

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Mit dieser Version des Goodrich-Druckanzuges führte Wiley Post seine Höhenflüge durch (Bild: Isaora)

Die Sache mit der Druckkabine fiel gleich schon mal flach. Die konnte man in die Winnie Mae nicht einbauen, denn damit wäre sie viel zu schwer geworden. Blieb also der Druckanzug. Bloß woher nehmen? So etwas konnte man nirgendwo kaufen und noch nie hatte jemand so etwas hergestellt. Er erkundigte sich, wer ihm bei so etwas helfen konnte, und fand die Firma Goodrich (Das spricht sich guhd-ritsch). Diese Firma stellte damals vor allem Auto- und Flugzeugreifen her. Einen Druckanzug hatten die vorher auch noch nie gemacht, aber sie fanden die Sache spannend und wollten Wiley Post helfen.

Und so probierten sie viele Materialien aus. Schließlich bestand der fertige Anzug aus doppelt gelegter gummierter Fallschirmseide, Schweinsleder-Handschuhen, Gummistiefeln und einem Aluminium-Helm. Der Anzug hatte an Armen und Beinen Gelenke, damit sich Wiley Post auch bewegen konnte. Im Helm gab es eine bewegliche Gesichtsplatte. Die musste er zuschrauben, sobald er eine Höhe von 5.500 Metern überschritt. Der erste Einsatz dieser “Mutter aller Raumanzüge” erfolgte am 5. September 1934 über der Stadt Chicago. An diesem Tag erreichte Wiley Post eine Höhe von 12.200 Metern. In späteren Einsätzen flog er bis 15.000 Meter hoch und stellte damit einen inoffiziellen Höhenweltrekord auf. Genau nachmessen konnte das aber niemand, denn er war ja auf Langstreckenflügen unterwegs. Vor allem aber war er, wie Du aus dem ersten Brief schon weist, in dieser Höhe eigentlich schon zu über 80 Prozent im Weltraum.

Man könnte Wiley Post also gut und gerne als den Vorläufer der heutigen Astronauten betrachten. Er flog für viele Stunden in sehr großer Höhe und benutzte dazu die frühe Version eines Raumanzugs. Sehr viele Flüge machte er allerdings nicht mehr, denn Wiley Posts Leben endete am 15. August 1935. Und das kam so:

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Wiley Post bereitet sich auf seinen Flug vor. Hier kann man gut die Augenklappe über seinem linken Auge erkennen. Das hatte er ja bei einem Unfall auf den Ölfeldern von Oklahoma verloren. (Bild: Wikipedia)

Im Sommer 1935 hatte er sich ein neues Flugzeug bauen lassen. Eine Sonderanfertigung. Das war mit Schwimmern ausgerüstet, es war also ein Wasserflugzeug. Diese Maschine war sehr leistungsfähig, hatte aber schwierige Flugeigenschaften. Er selber nannte das Flugzeug “Aurora Borealis”. So heißt das Nordlicht auf lateinisch. Alle anderen nannten die Maschine “Wileys Bastard”. Könnte man vielleicht übersetzen mit “Wileys Miststück”. Er wollte damit neue Flugstrecken ganz im Norden Amerikas erkunden. Eines Tages war er damit in Alaska unterwegs, zusammen mit seinem Freund Will Rogers. Die beiden gerieten in ein Schneetreiben und verloren die Orientierung. Sie flogen ganz niedrig an einem Flusslauf entlang, bis sie an einer Bucht ein paar Häuser sahen. Sie landeten und fragten nach dem Weg zur nächsten Stadt (damals gab es noch keine “Navis”). Dort erfuhren Sie, dass es bis dahin nur 15 Meilen weit sei. Wiley Post startete wieder, doch gleich nach dem Start versagte der Motor. Das Flugzeug stürzte in die Bucht, ein Flügel riss ab und die Maschine blieb kopfüber im Wasser liegen, nur noch die Schwimmer ragten heraus.

Das war das Ende von Wiley Post und seinem Freund Will Rogers. Du kennst ja das Motto unter dem ich diese Briefe schreibe: “Die größte Gefahr für einen Astronauten besteht darin, zu ertrinken”. Und tatsächlich: Wiley Post, den man schon fast als einen der ersten Astronauten bezeichnen könnte, ertrank.

So endete der Anfang der Geschichte vom Raumanzug. Mangels Bedarf wurde bis in die frühen fünfziger Jahre hinein keine Druckanzüge mehr gebaut. Das änderte sich erst, als Forschungsflugzeuge in immer größere Höhen erreichten. Und es änderte sich noch viel mehr, als die die ersten bemannten Weltraumflüge begannen.

Es gab damals einen richtigen Wettlauf zwischen zwei Ländern, nämlich der Sowjetunion (das ist heute Russland) und Amerika. Die sowjetischen Raumschiffe hießen Wostok. Die Amerikaner nannten die ihren Mercury (spricht man: Mehr-ku-ri). Die Bezeichnung “Raumschiff” war dafür ziemlich übertrieben, denn eigentlich waren es nur sehr kleine, sehr enge Kabinen. Sie waren so klein und eng, dass die Astronauten selber im Scherz sagten, dass sie sie sich ihr Raumschiff anzogen.

Weil man sich nicht sicher war, ob die kleinen Raumschiffe auch dicht hielten, musste die Piloten einen Raumanzug tragen. Immerzu, während des ganzen Fluges. Hier gibt es schon wieder einen Bezug zum Wasser, denn in der Sowjetunion bezeichnete man den Raumanzug nicht als Raumanzug sondern als “Skaphander”. Das spricht man “Ska-fan-der”. Und ein Skaphander ist eigentlich ein Taucheranzug für Taucher, die mit einem runden Helm arbeiten. Oder auch ein Panzertauchanzug.

Tja und dann…

Aber was seh ich da. Ich hab mich völlig verplaudert. Au Weia. Ich muss Schluss machen. Bundesliga geht gleich los. Ich muss mir “Heute im Stadion”, auf Bayern 1 anhören. Mal wieder feststellen, wer besser ist, Mertesacker oder Badstuber. Und ob Thomas Müller mal wieder ein Tor schießt.

Immerhin haben wir uns der Frage, warum die größte Gefahr für einen Astronauten darin besteht, zu ertrinken, auf einigen Umwegen mal angenähert. Aber wollte ich Dir nicht eigentlich über die möglicherweise drittgrößte Gefahr für einen Astronauten berichten, die darin besteht, einen Hitzschlag zu erleiden? Na egal. Dazu kommen wir schon noch. Nächstes Mal erzähle ich Dir über einen der allerersten Astronauten und seinen Raumanzug. Er hieß Virgil Grissom. Der Astronaut, nicht sein Raumanzug. Virgil Grissom, den alle „Gus“ nannten, wäre nämlich um ein Haar ertrunken. Aber das wundert Dich jetzt wahrscheinlich schon nicht mehr.

Also dann bis nächste Woche

Mit spacigen Grüßen, Dein Onkel

Eugen

 

Und hier geht’s zu Brief drei

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

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