Die größte Gefahr für einen Astronauten besteht darin, zu ertrinken – Fünfter Brief

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und wer’s noch nicht gelesen hat: hier sind Brief 1, Brief 2, Brief 3 und Brief 4Bloggewitter_Kinder_logo

 

Lieber Max,

Schitto….das ging ja sauber in die Grütze, letzte Woche. Eine 0:2 Klatsche gegen Borussia Mönchengladbach. Wer hätte das gedacht. Und kein Tor von Müller. Hat also kein Glück gebracht, dass ich den Brief an Dich erst am Sonntag geschrieben habe. Heute deswegen mal wieder zur “rechten” Zeit. Am Samstagnachmittag. Obwohl: heute ist ja eh keine Bundesliga. Wegen der Länderspiele. Gegen Borussia Dortmund geht es ja erst nächste Woche. Die sind ja wieder ganz schön stark geworden, die letzte Zeit. Und die haben dann auch noch Heimspiel. Mir schwant nichts Gutes. Aber wie sagt Franz Beckenbauer immer: “Schau mer mal”. Also schau mer mal.

Bild 1 - Cernan Einstieg
In diesem Plastikmodell ist zu erkennen, wie sich Gene Cernan auf die Rückseite seines Gemini-Raumschiffs bewegen musste, um den “Rucksack” zu erreichen. Der in der Mitte der Rückseite befestigt ist (Bild: Pete M.)

Letztes Mal hab ich mich selbst mehr oder weniger mitten im Satz unterbrochen. Ich musste ja auf den Ostermarkt (Mann, war das langweilig). Davor war ich grade dabei, die Geschichte von Eugene Cernan und Tom Stafford zu erzählen, der Mannschaft von Gemini 9. Tom Stafford war der Kommandant, Eugene Cernan war der Pilot. Und seine Aufgabe war es, aus dem Raumschiff auszusteigen und die EMU zu testen. Die EMU, das war die „Extravehicular Maneuvering Unit“, von den Astronauten immer nur “der Rucksack” genannt. Sie war auf außen auf der Rückseite vom Raumschiffs befestigt, weil sie innen keinen Platz hatte. Und dorthin war Eugene Cernan jetzt unterwegs, in seinem Raumanzug. Hinten am Geräteteil, an der Kante vom Raumschiff, da gab es diesen gefährlichen gezackten Metallrand. Der war entstanden, weil bei der Stufentrennung die Sprengladung das Raumschiff nicht sauber von der zweiten Stufe der Titan-Trägerrakete abgetrennt hatte. Vorsichtig legte er jetzt seine lebenserhaltende Nabelschnur über die rasiermesserscharfen Metallkanten. Und dann hatte er nur noch zwei Meter zum “Rucksack”. Und das war die Stelle, an der wir letzte Woche stehen geblieben waren. Aaalso…

…Gemini 9 flog grade über Südafrika und näherte sich wieder der Tag- und Nachtgrenze. Jetzt ging für die Astronauten die Sonne so schnell unter, wie sie vor 45 Minuten aufgegangen war. Als sich Cernan schließlich hinter die Gemini schwang, geriet er damit gleichzeitig aus dem Blickfeld von Stafford. Der hatte ihn bis dahin mit einer Art Rückspiegel beobachten können. Schließlich hatte er den “Rucksack” erreicht. Er klappte die Transportsicherungen weg und schaltete zwei kleine Lampen ein. Es funktionierte aber nur eine von den beiden und die lieferte nur ein klägliches Funzellicht. Cernan schob das Goldvisier seines Helms nach oben, aber auch das verbesserte seine Sicht nicht besonders.

Bild 2 - Training Erde
Das ist ein Bild von Gene Cernan beim Training auf der Erde. Da klappt alles einwandfrei (Bild: NASA)

All diese Handgriffe und Bewegungen musste er gegen den Widerstand des steinhart aufgepumpten Anzuges unternehmen. Das kostete Kraft, und so war Cernan schon bald sehr erschöpft. Er musste sich immer mindestens mit einer Hand an einem der Haltebügel festhalten, um nicht abzutreiben. Und mit seiner eigentlichen Aufgabe hatte er noch gar nicht begonnen. Tom Stafford konnte ihn bei der Vorbereitung seines Rucksacks nicht sehen. Die Sprechverbindung durch die Versorgungsleitung erlaubte es Eugene Cernan aber, seinem Kommandanten mitzuteilen, dass die Dinge aus dem Ruder liefen. Das Funzellicht war völlig unzureichend. Er konnte praktisch nichts erkennen. Und er musste sich durch eine Kontrollliste arbeiten, die 35 Positionen lang war. Allesamt waren notwendig, um den Rückentornister flugfähig zu machen. Er musste Knöpfe drücken, Ventile öffnen, Verbindungen legen und Schläuche umstecken.

Die Strapazen begannen ihren Tribut zu fordern. Was auf der Erde bei den Übungen kinderleicht war, war in der Wirklichkeit des Weltraums praktisch nicht zu bewältigen. Der Schweiß brannte in seinen Augen, aber er konnte ihn sich wegen des Helms nicht abwischen. Schließlich gelang es ihm, den letzten Schalter umzulegen. Die Systeme des Rücktornisters fuhren hoch. Es war beinahe Zeit, zu fliegen.

Er war jetzt schon eine Stunde und 47 Minuten draußen. Fünfmal so lange wie der bisherigen Rekordhalter. Und nun hätte es eigentlich losgehen können, mit seinem Raketenrucksack. Aber er konnte nichts erkennen. Es war total finster. Die Gemini musste doch eigentlich längst wieder auf der Tagseite der Erde sein. Es dauerte eine Weile, bis ihm klar wurde, dass es tatsächlich schon Tag war. Aber er konnte trotzdem nichts sehen. Der Schock fuhr ihm durch die Glieder. Cernan hatte so hart gearbeitet, dass die künstliche Atmosphäre im Inneren seines Raumanzuges die Feuchtigkeit, die er in den Anzug hineinschwitzte, nicht mehr bewältigen konnte. Die Sichtscheibe seines Helms hatte sich beschlagen und war durch die Kälte auf der Nachtseite der Erde vollständig eingefroren. Die Scheibe war so blind wie die eines Autos, das in einer kalten Winternacht im Freien gestanden war.

Er teilte es Tom Stafford mit. „Tom, mein Visier ist komplett zugefroren. Ich kann nichts mehr erkennen.“ Ungefähr das war die Stelle, an dem Tom Stafford sehr unruhig wurde. Was sollte er jetzt machen, wenn es Gene Cernan nicht mehr ins Raumschiff zurück schaffte?

Bild 3 - Training Erde Druckkammer
Auch das ist ein Bild vom Training auf der Erde. Dieses Mal im Druckanzug. Da ging das schon nicht mehr so einfach (Bild: NASA)

Das Hauptproblem für Eugene Cernan bestand darin, ohne die Hilfe der Schwerkraft irgendeine Hebelwirkung zu erzielen. Die einzige Halterung waren zwei dünne Metallbögen, die dafür vorgesehen waren, die Füße am Platz zu halten. An denen konnte man sich aber nur lose einhaken. Sie waren vollständig unzureichend, um ihm genügend Stabilität zu verleihen. Vor allem aber waren sie für eine sitzende Position ausgelegt, bei der er dem Raumschiff den Rücken zukehrte. Seine jetzige Arbeitsposition war aber genau anders herum. So schlüpfte er mit dem rechten Fuß unter die Fußhalterung und stellte den anderen Fuß fest darauf. Gleichzeitig musste er sich mit einer Hand am Bügel des Tornisters festhalten, während er versuchte, mit der anderen Hand zu arbeiten. Es war, als versuchte man, die Schlauchkupplung zweier zusammengeschlossener Gartenschläuche mit nur einer Hand wieder zu trennen. Und das gleich nach einem Dreitausend-Meter Lauf, mit zwei Paar extradicken Handschuhen an, in fast völliger Dunkelheit und dabei wie wild hin und her schwankend.

Die Arbeit war hart und Cernan japste nach Luft. Sein Herzschlag stieg auf 180 Schläge in der Minute. Das Visier war innen jetzt vollständig vereist. Er hatte keinerlei Sicht mehr nach außen. Da er es nicht abwischen konnte, blieb als einzige Möglichkeit, zumindest für einige Momente wieder geringe Sicht zu bekommen, mit der Nase ein Loch in die Scheibe zu rubbeln. Der Raketenrucksack war eine komplexe Maschine. Voll mit Ventilen, Hebeln und Armaturen. Viele von ihnen waren an Plätzen, die auch unter normalen Bedingungen nur schwer zu erreichen waren.

Sobald er versuchte, ein Ventil zu öffnen oder einen Hebel zu betätigen, forderte die Schwerelosigkeit ihren Tribut. Wenn er eine Kraft dafür aufwendete, etwas auf die eine Seite zu drehen, dann drehte es ihn selbst mit der gleichen Kraft auf die andere Seite. Dann rutschte sein Fuß wieder aus dem Bügel, und der ganze Körper begann sich in Pirouetten zu drehen. Und das alles in unmittelbarer Nähe des sägezähnigen Adapters, der nur darauf wartete, mit seinen scharfen Kanten ein Loch in seinen Anzug zu reißen.

Um den “Rucksack” zu einem handlichen Paket zu schnüren, das gut in die Mulde auf der Rückseite der Gemini passte, hatten die Ingenieure lange nachgedacht. Es war ein mechanisches Meisterstück geworden. Viele Elemente waren faltbar, oder als Teleskopvorrichtung ausgelegt. Die Haltearme waren sogar beides, gefaltet und ineinander einfahrbar. Der Versuch, sie auszuklappen und auszufahren glich dem Versuch, gekochte Spaghetti in sprudelndem Wasser gerade zu bekommen. Cernan zog, und die Arme zogen zurück. Er drehte und wurde selbst gedreht. Schließlich aber hatte er sie da, wo sie sein sollten. Er brachte seinen Körper auf den kleinen sattelartigen Sitz und schnallte den Sitzgurt fest.

Nun musste er sich nun von seiner Versorgungsleitung abklemmen, und sich an die Rucksack-Systeme anschließen. Der sollte ihm jetzt als Lebenserhaltungssystem dienen und ihn mit Sauerstoff und Energie versorgen. Das gelang ihm auch, da er nun in seiner Sitzposition über Haltepunkte verfügte. Das erste Mal in der Geschichte der Raumfahrt hatte sich ein Mensch von der Versorgung seines Raumschiffes getrennt. Doch indem er das tat, schnitt er die Sprechverbindung mit Tom Stafford ab, denn die war per Draht durch die Nabelschnur gelaufen. Sie wurde nun durch eine Funkverbindung ersetzt. Aber die funktionierte nur dann gut, wenn der Sender und der Empfänger in direkter Sicht waren. Da sich Cernan aber am hinteren Teil der Adapter-Sektion befand, war er durch das Metall und die Treibstofftanks des Raumschiffs von Tom Stafford getrennt. Und so konnte ihn sein Kommandant im Rauschen und Krachen des dünnen Signals kaum verstehen. Immerhin bekam Stafford die wesentliche Aussage Cernans mit: „Tom, ich kann vor meinen Augen nichts mehr sehen“.

Auch die Leute von der Bodenkontrolle konnten Cernan jetzt nicht mehr hören. Stafford hatte ihnen aber erzählt, dass die Arbeitsbelastung viel höher sei als das, was man vermutet hatte. Und er hatte ihnen auch erzählt, dass die Sprechverbindung sehr schlecht sei ,und dass Cernan nichts mehr durch sein Helmvisier sehen konnte. Und so gab er folgendes durch: „Wenn sich die Situation nicht sehr schnell verbessert, dann brechen wir die ganze Aktion ab“.

Bild 4 - Training Erde
Buzz Aldrin – er war der Ersatzmann von Gene Cernan – probiert hier den “Rucksack” auf der Erde beim Training ebenfalls anzuschnallen (Bild: NASA)

Bevor Cernan von der Nabelschnur-Verbindung zum Rückentornister umschaltete, hatte das medizinische Team am Boden die Daten seiner Körpersensoren direkt verfolgen können. Aber jetzt bestand diese Nabelschnur-Verbindung nicht mehr, und nun waren sie von diesen Daten abgeschnitten. Und da Ärzte nun mal von Beruf wegen zur Besorgnis neigen, waren sie alarmiert. Das letzte, was sie von Cernan wussten war, dass er vor Anstrengung japste. Und das schon seit einer dreiviertel Stunde. Der normale Herzschlag hatte sich verdreifacht. Die Sachlage entwickelte sich chaotisch und er befand sich in einer Zone, aus der er möglicherweise nicht mehr zurückkommen konnte. Der Astronaut Gene Cernan, so erkannten sie, steckte tief in der Scheiße.

Der Gegenstand ihrer Sorge saß in der Zwischenzeit auf seinem kleinen Thron, versuchte seine Nase an der Scheibe zu reiben um zumindest ein kleines Sichtloch freizubekommen. Und er kam zu zwei Schlussfolgerungen. Erstens: Er steckte tief in der Scheiße. Zweitens: Er war der Sache nicht mehr gewachsen.

Tom Stafford meldete sich wieder. Seine Stimme war durch das Rauschen und Knistern und Knacken der Funkübertragung kaum zu verstehen. „Kannst Du irgendwas erkennen, Gene? Kannst Du mich verstehen? Gene? GENE??. Cernan schrie seine Antwort ins Mikrofon, aber er konnte sich nur schwer verständlich machen. Es kam zur einer verstümmelten Unterhaltung mit vielen Rückfragen und Wiederholungen. Und Tom Stafford traf eine Entscheidung.

„Okay“, entschied er „No-go. Hast Du verstanden? Ich sagte No-Go. Du kannst nichts sehen. Wir brechen ab. Auf der Stelle. Du schaltest Dich zurück auf die Nabelschnur“. Es war die richtige Entscheidung, und Tom war nicht der Typ, der so etwas noch einmal diskutierte. Er setzte sich umgehend mit der Bodenstation Hawaii in Verbindung. „Hawaii, hier Gemini 9. Hört zu. Der EMU Einsatz findet nicht statt. Wir haben keine andere Chance“. „Roger, verstanden“, bestätigte die Bodenstation. Und das war es dann, für den „Nichtflug“ des Rucksacks. Die Probleme waren damit aber noch lange nicht beendet, denn Eugen Cernan war noch nicht wieder zurück.

Das Abschnallen, das Wiederanschließen der Versorgungsleitung, das Herumklettern um die Adapter-Sektion schienen einfacher zu sein, als beim Hinausgehen. Aber es dauerte trotzdem sehr lange. Der aufgepumpte Raumanzug hatte in den vergangenen zwei Stunden nichts von seiner Steifheit verloren. Das Visier war nach wie vor komplett vereist und Cernans letzte Kraftreserven schmolzen dahin wie der Schnee im März.

Bild 5
Und so hätte das aussehen sollen, wenn alles funktioniert hätte. Aber so weit kam es ja nicht (Bild: NASA)

Aus dem Bericht von Edward White wussten die Astronauten, dass das Zurückklettern in das Raumfahrtzeug eine besonders knifflige Aufgabe war. Anstatt aber zu berichten, dass es schwierig sei, hätte White besser gesagt, dass es nahezu unmöglich war. Wenn ein Astronaut größer war als 1,75 konnte er sich in der winzigen Kabine nicht ausstrecken, ohne mit dem Kopf oder den Füßen irgendwo gegenzustoßen. Cernan war aber schon ohne Helm 1,83. Das bedeutete, dass er sich in jedem Fall zusammenkauern musste, um wieder hineinzukommen. Und im Weltraum ist kein Job erledigt, bis nicht die Luke wieder geschlossen, und der Druck im Inneren hergestellt ist.

Als Eugene Cernan das kleine Raumschiff für seinen Ausflug an das Heck der Gemini verließ, hatte er die Luke fast ganz geschlossen. Sie war nur noch einen Spalt offen. Grade genug, um die Nabelschnur durchzulassen. Mehr durfte es nicht sein, damit das Innere der Gemini vor der direkten Sonneneinstrahlung geschützt blieb. Nun tastete Cernan, blind wie er war, mit seinen Fingern herum, um die Luke zu finden.

Seine suchenden Hände fanden schließlich den offenen Türspalt. Er zog sie auf, drehte sich und steckte die Füße ins Raumfahrzeug. Stafford hatte die Nabelschnur mit jedem Meter, den sich Cernan der Luke näherte, weiter eingeholt. Nun packte er ihn am Knöchel und beendete damit das schwerelose Ballett. Bei der Gelegenheit kickte Cernan den Hasselblad-Fotoapparat weg, die Stafford benutzt hatte, um Bilder von seinem Ausflug zu machen. Der Apparat schwebte langsam an seinem beschlagenen Helm vorbei. Durch das winzige Loch, das er mit der Nase in die Scheibe gerubbelt hatte, konnte er sehen, dass da etwas wegtrudelte. Er grabschte danach, hielt es auch für einen Moment, aber seine Finger hatten nicht mehr die Kraft, sie fest zu packen. Die Fotos waren weg. Heute existieren von Cernans Ausflug nur Standbilder der Filmkamera, aber keine Fotos.

Gemini 9 war über dem Atlantik, als Gene Cernan begann, sich wieder in das Raumschiff zu quetschen. Die Anstrengung, sich im Anzug zusammenzukrümmen war wie der Versuch, ein prall aufgeblasenes Schlauchboot umzuknicken. Tom Stafford konnte ihm nicht mehr helfen als er es ohnehin schon tat. Und so begann der Kampf Gene Cernans mit dem Raumanzug aufs Neue. Sein Atem ging stoßweise, als er versuchte die Beine anzuwinkeln und unter die Konsole zu pressen. Das Ganze endete in einer Art Entengang-Position, die Beine breit auseinander und nur noch halb gestreckt.

Cernan versuchte sich noch ein wenig mehr zusammen zu kauern. Entsetzliche Schmerzen schossen ihm in den Oberschenkel, als er versuchte seinen Körper in den Sitz und seine Beine unter die Instrumentenkonsole zu zwängen. Schließlich gelang es ihm, zunächst die Zehenspitzen, dann auch die Fersen über die Sitzkante zu pressen, und schließlich auch die Knie in einer abenteuerlichen Stellung unter das Instrumentenpaneel zu klemmen. Die Zehenspitzen deuteten senkrecht nach unten und die Beine waren in einer schrecklichen V-Position gebeugt, als er versuchte sich immer weiter in die Kabine zu pressen. Schmerzhafte Krämpfe liefen in Wellen die Beine hoch.

Bild 6 - Inside Gemini
Gene Cernan im Raumschiff nach seinem Abenteuer. Die Erschöpfung und der Schrecken sind ihm anzusehen (Bild: NASA)

Cernans Ziel war es, irgendwie seinen Allerwertesten auf den Sitz zu bekommen, und den Rücken flach auf die Rückenlehne. Aber das war wegen des steinhart aufgepumpten Anzugs völlig unmöglich. Die Anstrengung wurde zur Qual, als er sich schwitzend Millimeter für Millimeter weiter in die Kabine zwängte. Die Pulsfrequenz überstieg wieder über die 150er Marke und die Atemfrequenz ging auf 40 die Minute. Schließlich bekam er seine Finger unter das Instrumentenbrett und begann, sich mit aller Kraft hineinzuziehen. Eine weitere kleine Bewegung schließlich, und es gelang, die Knie unter das Panel zu klemmen. Das war schwieriger, als einen Sektkorken wieder in die Flasche zurück zu stopfen.

Schließlich war Cernan zu zwei Dritteln im Raumfahrzeug und noch zu einem Drittel draußen. Mit einer weiteren Gewaltanstrengung gelang es ihm, die Schultern unter die Höhe der Luke zu bringen. Dann kauerte er sich hinunter, soweit es mit äußerster Kraft ging, bog den Nacken und Kopf in einen unmöglichen Winkel nach unten und zog gleichzeitig mit aller Kraft an der Luke.

Jetzt langte Tom Stafford mit der rechten Hand herüber und griff nach einem Hebel, durch den man über eine Kette die Luke Zentimeter für Zentimeter herunter pumpen konnte. Das quetschte die Tür zusammen mit Cernans Kopf einige weitere Zentimeter nach unten. Weit genug, um den Schließmechanismus im obersten Zacken der Zahnstange einrasten zu lassen. Das war zum einen gut, zum anderen machte es aber für Cernan die Dinge schlimmer als je zuvor. Er war in seinem prallgefüllten Gummi-Gefängnis schon bis zu einem Punkt zusammengefaltet, wo es absolut nichts mehr weiter zu stauchen gab. Und die verdammte Tür war noch weit davon entfernt, geschlossen zu sein. Tom pumpte die Luke einen weiteren Klick der Zahnstange herunter und Cernans Schmerzen wurden immer schrecklicher.

Vor Cernans Augen waberte es in roten Wellen. Er war auf seinem Platz eingefroren und nicht in der Lage auch nur die kleinste Bewegung auszuführen. Es war nicht möglich, den Körper noch tiefer zu drücken, die Beine waren wie mit Stahlklammern an die Unterseite des Instrumentenpanels genagelt. Und die Luke war nicht zu. Weitere Klicks waren notwendig, um den Schließmechanismus Zacken um Zacken die Zahnstange hinunter bis zum Verriegelungspunkt zu bringen. Verzweifelt pumpte nun Cernan selbst mit der linken Hand immer weiter und hatte dabei das Gefühl, als hätte er sich schon alle Knochen gebrochen. Nie zuvor im Leben hatte er solche Schmerzen gehabt. Schließlich erfolgte der letzte Druck am Hebel und die Luke rastete ein.

Farbige Lichter tanzten vor seinen Augen, er bekam keine Luft mehr und eine unglaubliche Agonie machte sich in ihm breit, als er da an der Grenze zur Bewusstlosigkeit hing.

„Tom“, stöhnte er, „wenn wir das Schiff nicht schnellstens unter Druck setzen können, dann – glaub’s mir – sterbe ich hier“. Stafford verlor keine Sekunde, und das Zischen der Luft, die in das Raumfahrzeug strömte, war das schönste Geräusch, das er je gehört hatte. Als der Luftdruck in der Gemini zunahm, wurde der Anzug weicher und weicher. Als er seine Füße wieder bewegen konnte, schob er sie mit beiden Händen und unter heftigen Schmerzen endlich ganz unter das Instrumentenpanel und konnte nun auch richtig auf den Sitz rutschen. Er nahm den Helm ab und inhalierte den Sauerstoff in tiefen Zügen.

Bild 7 - Landung
Nach der Landung von Gemini 9. Links Gene Cernan, rechts Tom Stafford. Beide sind heilfroh, wieder zurück zu sein.

Cernans Gesicht war so rot wie ein Radieschen. Er stand unmittelbar vor dem Hitzekollaps. Stafford war zutiefst geschockt von dem Anblick. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihm zwar klar, dass die Situation ernst war. WIE ernst es aber tatsächlich um Gene Cernan stand, hatte er noch nicht realisiert. Eine der eisernen Regeln für die Astronauten in den Gemini-Tagen war es, niemals – NIEMALS – mit Wasser im Inneren des Raumschiffs herumzuspritzen. Die herumfliegenden Wasserkugeln konnten nämlich in der reinen Sauerstoffatmosphäre der Gemini zu Kurzschlüssen mit verheerenden Folgen führen. Doch jetzt zögerte Stafford keine Sekunde. Er fingerte nach seiner Wasserspritze (aus der die Astronauten damals tranken) richtete sie wie eine Pistole auf Cernan und drückte Ströme kühler Flüssigkeit in das brennende Gesicht seines Piloten. Einen Tag später landete Gemini 9 im Atlantik. Die Sache war äußerst knapp gewesen für Eugene Cernan.

Aber für heute ist es jetzt mal genug. War auch ne echt lange Story. Fussball ist heute ja nicht. Zumindest nicht Bundesliga. Wegen dem Länderspiel morgen gegen Georgien. Und zweite Liga ist nicht so das meine, von den Spielen der 60iger mal abgesehen. Oder interessiert Dich KSV Baunatal gegen Kickers Offenbach oder FSV Wacker 90 Nordhausen gegen den 1. FC Magdeburg? Ich werde hernach jedenfalls was Vernünftiges tun, und einen großen Topf voll Chili con Carne kochen. Das essen bei uns alle gern hier. Und morgen kann ich dann gucken, ob Müller vielleicht im EM-Qualifikationsspiel gegen Georgien ein Tor schießt.

Das nächste Mal geht’s es bei den Raumanzügen ins “Eingemachte”. Was ja dann eigentlich der Astronaut wäre, höhö. So ein Anzug sieht simpel aus, ist eine top-komplizierte Sache. Und deswegen erzähl ich Dir dann was über SAFER und HUT und ein paar furchtbare Zungenbrecher wie CCV und LCVG. Letzteres ist übrigens eine Unterwäsche, bei der man ertrinken kann. Wär fast schon passiert.

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für die schönen stories. Ich lese sie immer gemeinsam mit meinem 10jährigen Sohn. Das tolle ist, das es nicht nur ein unterhaltsame sondern auch sehr lehrreiche Erzählung ist, die im Anschluss zum”Faktencheck” einlädt.

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