Die biblische Geschichte des Sanherib: Nur eine Fiktion?

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Archäologische Spatenstiche

Peter van der VeenNur gelegentlich werden Inschriften aus der Antike ausgegraben, worin biblische Personen und Ereignisse erwähnt werden. Je länger die Texte sind, desto mehr können wir einen genaueren Vergleich mit der biblischen Geschichte herstellen. Trotz überaus vieler Übereinstimmungen gibt es auch Unterschiede zu entdecken. Die Unterschiede müssen nicht immer Fehler sein, da die verschiedenen Schreiber (sowohl die biblischen als auch die außerbiblischen) eben alle auch aus ihrer eigenen Sicht dasselbe Ereignis beschrieben haben. Wie sehr man bei solchen Unterschieden aufpassen muss, nicht zu früh zu urteilen, wird besonders deutlich am nächsten Beispiel von der Belagerung Jerusalems durch den assyrischen König Sanherib (705-681 v. Chr.).
In mehreren Texten des Alten Testaments (2. Könige 18-19; Jesaja 36-37) wird darüber berichtet, wie König Sanherib von Assyrien 701 v. Chr. neben der Eroberung der judäischen Stadt Lachisch Jerusalem belagerte. Während der Belagerung waren die Bewohner und ihr König Hiskia in der judäischen Hauptstadt eingekesselt. Hiskia, der erst seine Hoffnung auf Ägypten setzte, musste letztendlich erkennen, dass nur Jahwe, der Gott Israels, aus aller Not erlösen kann. Als Antwort auf seine eindringlichen Gebete im Tempel brachte der Engel Jahwes in der Nacht 185.000 assyrische Soldaten um, so dass Sanherib gezwungen war, nach Assyrien zurückzukehren. 

Auch die assyrischen Tonprismen (u.a. das Taylor-Prisma, heute im Britischen Museum in London) berichten von diesem Geschehen. Die Belagerung Jerusalems wird farbenfroh dargestellt und zudem wird beschrieben, wie Sanherib viele Ortschaften in Juda eroberte und viele Menschen als Beute nach Assyrien verschleppte. Obwohl die Belagerung als fait a compli dargestellt wird, fehlen klare Hinweise, dass Jerusalem auch tatsächlich erobert wurde. Da nicht Jerusalem, sondern Lachisch auf den Wänden von Sanheribs Palast in Ninive (die Darstellungen befinden sich heute im Britischen Museum, London) als krönender Triumph abgebildet wurde, ist zumindest Zweifel angebracht, ob Jerusalem wirklich erobert wurde (archäologisch gibt es dafür auch keine direkten Hinweise, während die Zerstörung durch die Babylonier 587 v. Chr. klar nachweisbar ist). 

Dennoch wurde aufgrund der assyrischen Berichterstattung die biblische Geschichte mehrfach  angezweifelt aufgrund mehrerer fiktiver Elemente (wie z.B. die des göttlichen Massakers).  Nun scheint mir jedoch eine einfache Ablehnung der biblischen Geschichte als reine Fiktion der Lage nicht gerecht zu werden. Geprägt von ihrem Weltbild und Glauben berichten nicht nur die biblischen Autoren von übernatürlichen Ereignissen, sondern auch die Assyrer. So behauptet Sanherib auf seinem Taylor-Prisma, dass der Gott Assur ihm in einem Orakel versprochen hatte, dass er seine Feinde besiegen würde und das Gotteswort habe sich  tatsächlich erfüllt. Ähnlich wie an mehreren  Stellen im Alten Testament, beschreibt der königliche Schreiber seines Vaters Sargons II., wie der Wettergott Adad 714 v. Chr. mit Donner und Hagelsteinen die Feinde Assyriens in Armenien zerschmetterte (vgl. A. R. Millard, „Story, History and Theology“, in: A. R. Millard et al. (Hg.), Faith, Tradition & History, Winona Lake, 1994, S. 64). Es besteht auch kein ernsthafter Zweifel darüber, dass das schlechte Wetter damals den Sieg für die Assyrer begünstigt hat. Aber warum kann 701 v. Chr. bei Jerusalem nicht etwas vorgefallen sein, das die Befreiung der Judäer erbrachte? Könnte es sein, dass damals im assyrischen Lager eine Seuche ausgebrochen war, wie es manche Alttestamentler vermutet haben? Sicherlich erscheint die Zahl der Toten von 185.000 Soldaten stark erhöht. Nun ist es aber gar nicht sicher, ob hier die Zahl ‚1000’ (hebr. eleph) als ‚Tausendschaft’ oder wie an manchen Stellen im Alten Testament als ‚militäre Einheit’ von 20 oder 40 Mann zu verstehen ist. Denn somit wären damals nicht 185.000, sondern ‚nur’ 3.700 bzw. 7.500 Mann gestorben. Auch eine solche Anzahl von Toten hätte für die Assyrer eine Katastrophe  bedeutet. 

Vielleicht gibt es außerhalb der Bibel noch einen weiteren Hinweis auf dieselbe Geschichte. So ist bei Herodot (5. Jh. v. Chr.) eine ägyptische Erzählung überliefert worden, worin z. Zt. des Pharaos Sethos (wohl König Sebitku) ein König Sanherib von Arabien und Assyrien mit einer großen Armee vor der Grenze Ägyptens lagerte (Buch II, 146). Als der Priesterfürst Sethos im Tempel seinen Gott um Hilfe rief, versprach dieser ihm, dass er die Assyrer in die Flucht treiben würde, denn er würde Helfer senden. Während der Nacht kamen tausende von Feldmäusen ins assyrische Lager, die die Pfeile und Bögen sowie die Ledergriffe der Schilder annagten. Als die Assyrer bemerkten, dass sie so vor den Ägyptern keine Chance mehr hatten, den Kampf fortzusetzen, entschieden sie sich zur Flucht. Während der Flucht wurden viele von ihnen getötet. Obwohl die Geschichte nicht ganz genau dieselbe ist wie im Alten Testament, gibt es zweifellos verschiedene Übereinstimmungen, wie es mehrere Wissenschaftler immer wieder betont haben.

Viele offene Fragen werden sicherlich unbeantwortet bleiben, aber auch wenn sich nicht alle Differenzen einfach auflösen lassen, zeigen die verschiedenen Elemente doch, dass man mit zu schnellen Urteilen unbedingt aufpassen muss. Denn keiner von uns war damals dabei gewesen und zuletzt wird auch jeder Schreiber damals (und das ist heute auch nicht anders) das Geschehen aus seiner eigenen Sicht wiedergegeben haben.

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Peter van der Veen hegt seit seiner Jugend großes Interesse an der Geschichte und Archäologie der Bibel. Er ist Leiter einer deutschen Arbeitsgruppe für Biblische Archäologie und arbeitet seit seiner Promotion über antike Beamtensiegel (Uni Bristol, 2005) an mehreren Forschungsprojekten zur Archäologie des alten Israel.

3 Kommentare

  1. sanherib + jerusalem

    Hallo Herr van der Veen, ihre Artikel sind erste Schritte auf einem Weg, der sie zu einer fundamentalen Erkenntnis führen kann. Natürlich neigt das Sanmherib-Prisma ebenso wie der Tanach zu Glorifizierung. Dennoch ist davon auszugehen, dass Jahuda nach dem Feldzug einen Vasallenartigen Zustand erhielt – was wiederum Hissikjah sein Amt gerettet haben dürfte.
    Die biblischen Details jedoch sind Dichtung, die auf einer anderen, wahren Begebenheit beruht.
    Falls Sie Lust haben, darüber mit mir in einen wissenschaftlich seriösen Austausch einzutreten – unten finden Sie meine email.
    Beste Grüße

  2. Stele mit “Israel”

    Sehr geehrter Herr van der Veen,
    ich möchte die wunderbare Entzifferung der Stele mit der “Israel”-Inschrift aufgreifen und in den Medien veröffentlichen. Ebenso möchte ich gerne darüber mit israelischen Archäologen wie Gabriel Barkai reden. Gibt es deshalb einen artikel dazu auch in Englisch? Wäre dankbar um Zusendung oder für einen Link an Ulrich@Sahm.com

  3. Ulrich Sahm Stele mit Israel

    Vielen Dank für die Anfrage. Es ist in letzter Zeit sehr viel in den deutschen Medien dazu gelaufen. Da kamen 2 Artikel von Jan Dönges (Spektrum) au Spektrum Online direkt und in der Jüdischen Allgemeine. Es kam auch etwas ain GEO, in der Frankfurter Neue Press usw. Der Artikel selber (also von mir u.a.) erschien auf Englisch bereits Ende letztes Jahr in der Zeitschrift JAEI (Journal of Ancient Egyptin Connection der Univ. Arizona). Bitte kontaktieren Sie mich offline auf meine Emailadresse: van_der_Veen@gmx.de. Heute und morgen bin ich unterwegs aber am Dienstag kann ich Ihnen die nötige Dateinen (Artikel) digital schicken. Vielen Dank dass Sie damit in Israel was machen wollen (in Israel hat der Radiosender – Israel National Radio Foundation Stone mit Rabbi Barnea Selavan) in März eine ganze Stunde Interview mit mir gemacht und da ging es auch schon um den Israel-Stein). Also am Dienstag mehr dazu.

    Liebe Grüsse
    Peter van der Veen

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