Wiege moderner Demokratie: Athen?

BLOG: Antikes Wissen

Geschichte. Wissenschaft. Forschung.
Antikes Wissen

Was ist Demokratie? Gibt es eine ‚richtige‘ Demokratie? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede existieren zwischen der heutigen und der athenischen Demokratie vor etwa 2500 Jahren?

Die athenische Polis entwickelte ab dem 7. Jahrhundert v.Chr. ein neues gesellschaftliches Ordnungssystem. Höhepunkt der Neuordnung war das 5. Jahrhundert v.Chr., das auch als ‚klassisches Zeitalter‘ oder griechische ‚Blütezeit‘ bezeichnet wird. Die athenische Form der demokratischen Neuordnung war einmalig in Griechenland. In keiner anderen Polis gab es eine so breite, ‚bürgerliche‘ Mitbestimmung. Demokratie ist in der athenischen Zeit jedoch kein abgeschlossener Zustand. Im Gegenteil: Es gab keine schriftliche Ausformulierung der Ordnung oder Verfassung. Die demokratische Ordnung unterlag steten Veränderungen durch mündliche Beschlüsse. Wenn heute von athenischer Demokratie die Rede ist, wird sich immer auf die Ordnung im 5. Jahrhundert bezogen. Der Begriff Demokratie setzt sich aus zwei griechischen Wörtern, demos (= Bürgergemeinschaft) und kratos (= Herrschaft), zusammen. Grundlage der athenischen Demokratie bildete die Isonomia, die Gleichheit aller Bürger der athenischen Gemeinschaft. Nicht alle Zeitgenossen sahen die demokratische Ordnung positiv. Nach Aristoteles und Platon bedeutete Demokratie die Herrschaft der ‚Dummen‘, da ‚Ungebildete‘ die bürgerliche Mehrheit ausmachten. Demokratie sorge für Gleichheit unter Ungleichen, was gute Entscheidungen verhindere anstatt fördere. Sowohl Aristoteles als auch Platon plädierten für gemäßigtere Herrschaftsmodelle.[1]

Die Aussage ‚Gleichheit aller Bürger‘ unterscheidet sich grundsätzlich vom modernen Verständnis. ‚Gleichheit aller Bürger‘ bezog sich ausschließlich auf volljährige Männer mit Bürgerrecht. Das Bürgerrecht konnte alleine durch Geburt, wenn beide Elternteile ebenfalls Bürger waren, oder für außerordentliche Verdienste erworben werden. Frauen, Metöken (= ansässige Fremde) und Sklaven hatten kein politisches Mitspracherecht und waren von der Demokratie ausgeschlossen. Die politische Partizipation im demokratischen ‚Höhepunkt‘ des 5. Jahrhunderts manifestierte sich in Versammlungen, Kulten, Gerichten oder im Bürgerheer.

Wichtige demokratische Versammlungen waren die Ekklesia (= Volksversammlung) und die Boule (= Rat der 500). Die Ekklesia tagte mehrmals im Jahr, entschied über Krieg und Frieden, Gesetze, die Wahl bzw. Auslosung der Beamten, die Ehrung von Bürger und eventuelle Bürgerrechtsverleihungen. Alle Bürger konnten teilnehmen und erfuhren soziale Ächtung bei Nicht-Teilnahme. Die Boule umfasste insgesamt 500 Mitglieder, 50 Mitglieder aus jeder Phyle (= ‚Verwaltungsbezirk‘, insgesamt gab es 10 Bezirke). Der Rat überwachte die Beamten, kontrollierte Finanzen, Empfang Gesandtschaften und bereitete die Volksversammlung vor. Eine Besonderheit der athenischen Demokratie war die jährliche Auslosung der Beamten bzw. Archonten. Persönliche Leistungen oder Beziehungen für die Auswahl und Befähigung wurden irrelevant. In Athen gab es weder Parteien noch Gewaltenteilung. Auch die Richter und Geschworenen wurden für jede Gerichtsverhandlung neu ausgelost. In Gerichtsverhandlungen stand nicht die Wahrheitsfindung im Mittelpunkt, sondern die Frage nach dem ‚guten‘ Bürger. Es wurde nicht gefragt, ob der Angeklagte die vorgeworfene Tat begangen hat, sondern ob er einen schlechten Charakter hat und dazu in der Lage wäre die vorgeworfene Tat begehen zu können. Die athenische Demokratie ist folglich nicht als Rechtsstaatlichkeit im modernen Sinn zu verstehen: Es war eine Volksherrschaft. Die Bürger waren nicht vor Willkür geschützt, der Volkswille war stärker als die Gesetze und die Masse wichtiger als das Individuum.[2]

Zusammenfassend gibt es wenige Gemeinsamkeiten zwischen der athenischen und der modernen Demokratie. Doch was heißt schon ‚moderne Demokratie‘? Auch heute hat jedes Staatssystem ein eigenes Verständnis von Demokratie und bildet eigene Institutionen heraus. Athen als Wiege der modernen Demokratie zu sehen ist nicht falsch. Doch das athenische Modell sollte weder verklärt werden, noch dürfen die Unterschiede unbeachtet bleiben.


 

[1] Vgl. Plat. epist. 7,324c-325; Plat. Apol. 34a;38b; Plat. Phaid. 59b; Aristot. Pol. 2,1265b.

[2] Vgl. Jochen Bleicken: Die athenische Demokratie, 2., überarbeitete Auflage, Paderborn u.a. 1994.; Christian Meier: Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt am Main 1995; Klaus Stüwe / Georg Weber (Hrsg.): Antike und moderne Demokratie. Ausgewählte Texte, Stuttgart 2004.

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Herzlich Willkommen! ‚Geschichte‘ ist ein Sammelbegriff für unendlich viele Geschichten: Geschichten von Menschen, Begriffen, Gruppen, Ereignissen, Ideen, Umbrüchen, Kulturen, Grenzen, Unterschieden, Mentalitäten, […]. Es gibt keine menschliche Eigenheit ohne Geschichte. Ich werde euch kurze Einblicke in die Alte Geschichte geben. Warum Alte Geschichte? Aus Leidenschaft und weil es mein Studienschwerpunkt ist. Eure Jessica Koch

16 Kommentare

  1. Vielen Dank! – Klingt, wie eigentlich immer, kenntnisreich, verständig & gut.

    Doch was heißt schon ‚moderne Demokratie‘? Auch heute hat jedes Staatssystem ein eigenes Verständnis von Demokratie und bildet eigene Institutionen heraus. [WebLog]

    ‘Moderne Demokratie’ meint wohl Demokratie im Sinne der Aufklärung, die Deutsche Demokratische Republik, die Demokratische Volksrepublik Korea und die Islamische Republik Iran (mit gewissen demokratischen Ausprägungen) beispielsweise ausschließend.
    Insofern kennt diese Demokratieform auch gewisse Grenzen, das ‘eigene Verständnis’ und die ‘eigenen Institutionen’ meinend, die vielleicht mit diesem Satz auf den Punkt gebracht werden können:
    Ist es nicht erlaubt die Demokratie- oder „Demokratie“-Form öffentlich zu hinterfragen und in Zweifel zu ziehen, …, ist es keine ‘moderne Demokratie’. [1]

    MFG
    Dr. W

    [1]
    Der aktive Kampf gegen das demokratische System ist nicht gemeint.
    Vgl. auch mit ‘Demokratischer Sozialismus’ / Dritter Weg

  2. Wenn Platon seine Vision eines von Philosophen geführten Staates demjenigen des vom gemeinen Volk direkt-demokratisch geführten gegenüberstellt, so kommt uns das heute noch wie eine aktuelle Auseinandersetzung vor. Und es ist überhaupt nicht klar ob Platons Staat der Räte, der Experten, der anzustrebende Staat ist oder ob nicht die gelebte Form der Demokratie Athens (direkte Wahlen und Amtsausübung potenziell durch jeden Vollbürger im Rotationsprinzip) die bessere Regierungsform und den besseren Staat abgibt.
    Das alte Griechenland mit Athen als freiheitlicher und Sparta als kollektivistischer Gesellschaft, mit direkter Demokratie in der Blütezeit, Tyrannis davor und danach und aufgeklärter Herrschaft beispielweise durch Perikles zeigt uns bereits sehr viele politische und gesellschaftliche Strukturen, die uns immer noch umtreiben.

    Interessanterweise war die Zeit, in der Platon mit seinem Buch “der Staat” einen Demokratieverriss und eine eigene Vision eines weit besseren Philosophenstaates entwarf, ein Zeit ungewöhnlicher Entfaltung des künstlerischen, akademischen, wissenschaftlichen, schriftstellerischen Lebens und der Theaterproduktion in Athen. Ist das nur ein zufälliges Zusammentreffen oder ist die Tatsache, dass im damals nur 40’000 Einwohner zählenden Athen Leute wie Aischylos, Aristophanes, Euripides und Sophokles, die Historiker Herodot, Thukydides, der Philosoph Sokrates, der Dichter Simonides und der Bildhauer Phidias wirkten, ein Hinweis darauf, dass die radikale Demokratie, die die Athener damals pflegten, letztlich viel Gutes ermöglicht?

    Richtig ist sicher dass die Vollbürger Athens nur den kleineren Teil der Bevölkerung Athens ausmachten. Athen ist ohne Sklaven und ohne fremde Händler kaum denkbar. Soviel ich mich erinnern kann war Aristoteles der Ansicht, Zivilisation sei ohne Musse nicht möglich und weil es ohne Sklaven keine Musse gäbe, ist seiner Ansicht nach Zivilsation ohne Sklaverei nicht möglich.
    Ein direkter Vergleich der athenischen Demokratie mit heutigen Regierungsformen ist aus diesem und vielen anderen Gründen nicht möglich. Doch ist es wohl nicht falsch, wenn wir auch heute das Ideal anstreben, dass es möglichst viele Vollbürger gibt und diese Vollbürger möglichst viele Rechte erhalten, damit sie das Leben so führen und so lenken können wie sie es wollen.

    • Herr Holzherr, möglicherweise liegt bereits in der Begrifflichkeit ‘Demokratie’ ein kleiner Mops, denn der Demos meint nicht die Menge oder Bevölkerung oder Ethnos oder Ochlos.

      Insofern wäre der Schreiber dieser Zeilen Ochlokrat.
      Sie womöglich auch.

      MFG
      Dr. W

      PS:
      Wobei die „Demokratie“ als Pöbelherrschaft * oder Herrschaft des Volks oder der Bevölkerung lange nicht gedacht werden konnte, Frauen blieben insofern auch nach der Aufklärung außen vor und es bedurfte schon ziemlich ausgefeilter Systeme und auch eines gewissen Bildungsgrads der Gesamt-Bevölkerung, damit die Sache funktionieren konnte.
      Witzig vielleicht an dieser Stelle wie George W. Bush vor einigen Jahren im Irak, oben Genanntes berücksichtigend, Nation-Building oder Demokratie hervorzurufen gedachte.

      *
      ‘Pöbel’, ‘populus’ und so

      • Zitat: “In der Regel wurde damit [mit Demos] auch die Gesamtzahl der Vollbürger einer Polis (also die Bürger im Besitz der vollen Bürgerrechte) bezeichnet, die – beispielsweise in der attischen Demokratie – an der entsprechenden Volksversammlung teilnehmen konnten.

        Demokratie bedeutet dann im altgriechischen Sinne wohl, dass die Herrschaft von den Vollbürgern ausgeht. Damit hat sich der Begriff bis heute nicht gewandelt. Nur dass wir heute mehr Bürgern die Vollbürgerschaft zugestehen, unter anderem auch allen Frauen. Wenn schon müsste man die heute dominierende repräsentative Demokratie als potenziellen Rückschritt gegenüber der attischen direkten Demokratie betrachten, denn wie können einzelne die Gemeinschaft repräsentieren.

        Der obige Einwand von Ihnen, dass der beschränkte Bildungsgrad des Durchschnittsbürgers eine direkte Demokratie in Frage stelle, weil dann keine durchdachten Urteile gefällt werden, geht ja bereits auf Platon zurück. Darum wollte er ja Philosophen als Entscheider und nicht das gewöhnliche Volk.

        Im Rückblick kann man nur feststellen, dass es noch nie eine Herrschaft durch Philosophen gab und auch nie eine Herrschaft allein durch Experten. Experten werden meist nur vorgeschoben um eine Entscheidung zu rechtfertigen. Die Experten entscheiden aber nicht wirklich, sie werden vielleicht hin und wieder im Glauben gelassen, sie steckten hinter einer Entscheidung. Doch diese Entscheidung wird von politscher Seite gefällt und von den Experten meist nur abgestützt.

        • @ Herr Holzherr :
          Hüstel, …

          Demokratie bedeutet dann im altgriechischen Sinne wohl, dass die Herrschaft von den Vollbürgern ausgeht. Damit hat sich der Begriff bis heute nicht gewandelt.

          … kann so gesehen werden.

          Nur dass wir heute mehr Bürgern die Vollbürgerschaft zugestehen, unter anderem auch allen Frauen. Wenn schon müsste man die heute dominierende repräsentative Demokratie als potenziellen Rückschritt gegenüber der attischen direkten Demokratie betrachten, denn wie können einzelne die Gemeinschaft repräsentieren.

          Dito.

          ‘Faschist’ sind Sie aber nicht.

          MFG
          Dr. W (der sich nun langsam ausklinkt, danke, es war schön)

          • (…) denn wie können [E]inzelne die Gemeinschaft repräsentieren

            Das war so “trocken” angemerkt, Herr Holzherr, mG,
            MFG
            Dr. W

      • “… wie George W. Bush vor einigen Jahren im Irak, oben Genanntes berücksichtigend, Nation-Building oder Demokratie hervorzurufen gedachte.”

        Die Aktivitäten im Irak als Nation-Building zu bezeichnen, geht wohl deswegen auch am eigentlichen Ziel vorbei, weil es ein Vorwandgewesen zu sein scheint, die Freiheit der eigenen Nation eben dort zu verteidigen. (ebenso auch am Hindukusch und sonstwo, wo es nach hiesiger Idee und Kenntnis nicht zugeht, wie erwünscht).
        In globalisierten Verhältnissen ist der Horizont zu erweitern – hier dahingehend, dass man global dafür sorgt, dass keine Herarchien ent-/bestehen und funktionieren, außer die im eigenen Land. Während Stabilität in anderen Gegenden durch das Chaos aufgrund mangelnden Herarchien und Strukturen fehlt, funktioniert das eigene Land demgegenüber bestens und hat daher den entscheidenden Vorteil der kooperativen Gemeisnchaft.

        Auch übertragbar auf Sphären des Schwarms, in welchen das Funktionieren der Gemeinschaft nur dann gewährleistet ist, wenn die Gemeinschaft ungestört gewachsen ist, anstatt durch Kriege oder andere Katastrophen ins Chaos gestürzt.

        Sie wissen schon: Die Kriegssaat geht in anderen Ländern besser auf, als daheim. Dergestalt in Form von Chaos und Rückschritt über Generationen hinweg.

        Man kann die Situation derzeit also gut mit der Situation der athenischen Demokratie vergleichen. Ein Teil der Welt Verhandelt über den Charakter eines anderen Teils der Welt (weil es das kann) und urteilt dann, er sei schlecht, weswegen der Schuldspruch folgt (und darauf der Krieg oder andere Katastrophen oder Unlgücke in Form von “Wirtschaftssanktionen” etwa – oder auch Marktmanipulationen).

        In diesem Sinne ist es kaum verwunderlich, dass die USA derzeit die noch vorherrschende Weltmacht sei – weil sie eben seit ihrem Bürgerkrieg vor mehreren hundert Jahren keinerlei innere Unruhen mehr erleiden musste (die in der Folge gewachsene Strukturen zerstören und Chaos erzeugen).

        Das man “gewachsene” Strukturen als tendenziel totalitäre Strukturen bezeichnen kann (aus gutem Grund), lässt trotzdem kein Zweifel daran, dass solche einen entscheidenen Vorteil haben. Sie sind stabil und können über ihre Grenzen hinaus dominant sein. Sie können sich den Sphären ausserhalb der Grenzen zuwenden, weil sie die “inneren” Probleme nicht haben. Anders ausgedrückt: organisch souveräne Nationen.

        • (…) dass man global dafür sorgt, dass keine Herarchien ent-/bestehen und funktionieren, außer die im eigenen Land

          Im aufklärerisch-demokratischen Sinne ist dies gefährlich, jenau, wird aber zunehmend gemacht, auch unter Rechts- und Vertragsbrüchen, auch nicht Gewählte supranationalen Organisationen an die Spitze stellend.
          Insofern bedingen aufklärerisch-demokratische Systeme den Staat, der gerne auch Nationalstaat sein soll, an der Nation wird sich bekanntlich nicht festgebissen, Bevölkerung ginge auch, sie darf aber nicht zu heterogen werden, wenn es nicht zu Terror, Segregation etc. kommen soll, die Kultur meinend wie auch den allgemeinen Bildungsgrad.

          MFG
          Dr. W

          • “…an der Nation wird sich bekanntlich nicht festgebissen, Bevölkerung ginge auch…”

            korrekt. Auch gefährlich gegen das demokratische Ideal. Als Methode aber offenbar gerne zur Aufrechterhaltung desselben angewandt. Was der Fehler der populären Demokratie sei – lässt sich nur mit undemokratischen Mitteln aufrechterhalten, was dazu führt, dass es keine im aufgeklärten Sinne ist, wenn man die echte Opposition tötet (hier ausserparlamentarisch).Übrigens auch im unverdächtigen D.

  3. Müsste man nicht präziser von attischer Demokratie sprechen? Athen war ein Stadtstaat, der auch das Gebiet Attika umfasste, also nicht nur die Stadt allein. Die gesamte männliche, freie Bevölkerung (abgesehen Fremde) partizipierte an der Herrschaft.

    Es ist bestimmt kein Zufall, dass die Demokratie mit der kulturellen Blüte Athens zusammenfiel, die Schattenseite war der ungehemmte Imperialismus nach Außen und gegenüber den Bündnispartnern des attischen Seebunds. Der Bau der Akropolis wurde aus der Bundeskasse bezahlt.

    @Martin Holzherr: Herodot war nur kurz in Athen.

    • Ja, es ist die attische Demokratie, die ich beschreibe. Aber ich habe mir gedacht, für Leser mit weniger Hintergrundwissen ist die Bezeichnung ‘athenische Demokratie’ griffiger. Aber Sie haben vollkommen recht: Nicht nur der Stadtkern Athens war in die Demokratie eingebunden, sondern auch die umliegenden Gebiete als ‘Attika’. Bei der Bezeichnung ‘Stadtstaat’ und ‘Imperialismus’ für die athenische Polis bin ich sehr vorsichtig. Besser ist es von einer ‘Bürgergemeinschaft’ zu sprechen, da der moderne Ausdruck ‘Staat’ für die Antike sehr problematisch ist. Von ‘Imperialismus’ zu sprechen ist noch schwieriger, der Seebund war ein Bündnissystem. Bündnispartner wurden weder erobert, noch kolonisiert, noch wurden sie dem athenischen Wertesystem unterworfen. Es war primär ein Verteidigungsbündnis gegen die Perser (zumindest am Anfang, später gegen Sparta), mit Tributzahlungen um eine Seeflotte zu bezahlen.

  4. Moin,

    etwas klingt da seltsam. Wenn man durch Geburt Bürgerrecht bekommen konnte, wenn beide Eltern es schon haben, Frauen aber kein Bürgerrecht erhielten, dann dürfte es ja kaum “Bürgerrechtler” gegeben haben.
    Weil ein Elternteil ist ja immer Frau und daher ohne Bürgerrecht.
    Da ich bezweifle, dass damals einer Frau herrausragende Leistungen zugestanden wurden, dürfte die Demokratie damals nur aus Männern mit besonderen Leistungen bestanden haben.

    Also so etwas wie die Herrschaft der Elite ohne Mitbestimmung des Volkes ?
    Oder übersehe ich da den entscheidenden Punkt …

    • Sie haben Recht, ich habe diesen Satz ungünstig formuliert. Frauen hatten einen Bürgerstatus, wenn die Eltern ebenfalls Bürger waren. Die Formulierung ‘ohne Bürgerrecht’ sollte besser in die Formulierung ‘ohne politische Mitspracherechte’ geändert werden.

  5. Demokratie war unter den alten Griechen und dann wieder in der Folge von Renaissance, Aufklärung und französischer Revolution ein Ideal, eine anzustrebende Form der Regierung, der Staatenlenkung. Der Erfolg beispielsweise im Kampf gegen die Perser gab den alten Griechen recht. Demokratie war für die Athener und die anderen griechischen Polis ein Erfolgsfaktor, weil es eine hohe Motivation der Bevölkerung bedeutete. Und das in allen Bereichen. Während die Perser ein riesiges Söldnerheer zusammenstellten um Griechenland unter ihre Herrschaft zu bringen, kämpften alle griechischen Bürger ohne dass sie dazu gezwungen oder besoldet werden mussten, weil sie nicht ihren Herrscher sondern sich selber verteidigten.

    Aktuell gibt es einen neuen Diskurs um den Wert der Demokratie. Nicht um die Form der Demokratie, nicht um die Entscheidung für eine Form analog der griechischen Volksherrschaft gegenüber der modernen Form der Demokratie mit Gewaltenteilung und Einbezug mehrerer Entscheidungsinstanzen. Sondern um die Frage, ob Demokratie nicht ein Hemmschuh sei und zu langsameren und schlechteren Entscheidungen führe als eine kluge, strategisch operierende autokratische Herrschaft. Als neues Leitbild wird dann meist China genannt. Argumente für das chinesische Modell und gegen das demokratische vertreten heute sehr viele Leute. Besonders angetan hat das chinesische Modell es vielen afrikanischen Denkern, die Afrika damit aus dem Sumpf von Kleinstaaterei und Korruption herausführen wollen. Es gibt aber auch nciht wenige Politologen und Soziologen im Westen, die das chineschische Modell als besseres Modell ansehen, wenn es um die grossen, zunehmend globalen Zukunftsfragen gehe. Im Artikel «Die Schweizer Demokratie ist überfordert» gibt es ein Interview mit Helmut Helmut Willke, der den Zustand westlicher Staaten untersucht hat.
    Zitat: Auf das hiesige System sieht der Soziologe grosse Probleme zukommen – und empfiehlt, von China zu lernen.

    Der Hausverstand der direkten Demokratie reichte aus für die klassischen politischen Probleme des 19. Jahrhunderts, Strassenbau etwa oder die langsame Ausbildung der Mittelklasse. Die immer komplexeren Fragen der Globalisierung vermag diese Schwarmintelligenz aber leider nicht mehr kompetent zu beantworten: systemische Fragen also wie die Finanzkrisen und Pandemien, internationaler Terrorismus und Klimawandel.

    Das chinesische Modell hat zwei ganz grosse Stärken, die die heutigen Demokratien schmerzlich vermissen lassen: Strategiefähigkeit und langfristige Lernfähigkeit. Wie liessen sich diese Stärken nun übernehmen, ohne die unbestreitbaren Nachteile des chinesischen Systems mit zu übernehmen – repressiver Polizeiapparat, Einschränkung der Meinungsfreiheit et cetera? Zum Beispiel könnte das durch die feste politische Einbindung wissenschaftlicher Expertisen geschehen.

    Diese Einbindung wissenschaftlicher Expertisen – eine Idee die ja schon auf Platon zurückgeht – wird naturgemäss auch von Forschern gefordert, die gesellschaftsrelevante Themen beackern. Prominentestes Beispiel sind die Klimaforscher. Der Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen hat in ihrem Gutachten Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation ein Zusammenspannen von Bürgergesellschaft und Wissenschaft als neues Welt-Regierungsmodell vorgeschlagen.

    Der Gesellschaftsvertrag kombiniere eine Kultur der Achtsamkeit (aus ökologischer Verantwortung) mit einer Kultur der Teilhabe (als demokratische Verantwortung) sowie einer Kultur der Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen (Zukunftsverantwortung). Die Transformation müsse wissensbasiert sein, auf einer gemeinsamen Vision beruhen und vom Vorsorgeprinzip geleitet sein. Sie stütze sich auf “Pioniere des Wandels”, die neue Entwicklungsmöglichkeiten testen und vorantreiben. Zudem erfordere diese Transformation einen “gestaltenden Staat”, der Entfaltungsmöglichkeiten eröffne, Weichen für den Strukturwandel stelle und die Implementierung klimaverträglicher Innovationen absichere. Unerlässlich sei eine Kooperation der Internationalen Staatengemeinschaft sowie der Aufbau von Strukturen für globale Politikgestaltung (Global Governance)

    • Klingt expertokratisch:

      Der Wissenschaftliche[] Beirat[] der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen hat in [seinem] Gutachten Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation ein Zusammenspannen von Bürgergesellschaft und Wissenschaft als neues Welt-Regierungsmodell vorgeschlagen.

      Ökosozialistische Meinung könnte hier vorliegen.

      BTW, Leutz wie Trampert und Metzger konnten zuletzt bei der sogenannten Achse des Guten beitragen.

      MFG
      Dr, W

  6. Die Athener kannten die Demokratie, die Tyrannei und die aufgeklärte Herrschaft. Die Spartaner kanten zudem einen sehr weit gehenden Kollektivismus (bis hin zur Erziehung der Kinder und Jugendlichen durch den Staat anstatt durch die Eltern).
    Im Ansatz sind das die wichtigsten Herrschaftsformen die wir heute noch kennen.
    Gebilde wie die EU oder Föderalismus als Ordnungsprinzip gab es aber im alten Griechenland nicht. Dort war die wichtigste Einheit die Polis, also die politisch organisierte Stadt. Städte konnten Bündnisse schliessen, sie waren aber nicht in einem griechischen Staat zusammengeschlossen. Den gab es gar nicht. Damit haben die alten Griechen auch kein Konzept anzubieten, wie man überstaatliche oder gar globale Macht gestalten und mit Institutionen versehen könnte.
    Allerdings geht eines der wichtigsten Prinzipien, mit der das geschehen kann, auf Aristoteles zurück. Es ist das Subsidiaritätsprinzip und meint damit dass Entscheide so lokal wie möglich gefällt werden sollten. Die EU kennt dieses Prinzip, auch wenn sie zuwenig danach lebt.
    Das Subsidiaritätsprinzip sollte in beide Richtungen gedacht werden: Nicht nur sollten lokale Dinge bei den lokal Verantwortlichen bleiben: Nein, es sollten auch Probleme, die nach globalen Lösungen verlangen, auf globaler Ebene behandelt werden. Das fehlt heute vollständig, wäre aber nötig um globale Probleme wie den Klimaschutz oder den gerechten Zugang zu globalen Ressourcen wie den Ozeanen usw. adäquat zu regeln. Die UNO gibt zwar vor, dass sie sich dieser Dinge annimmt. Allerdings gibt es die UNO nicht als selbständig organisierte Legislative oder Exekutive. Letztlich hängt alles am Willen der Mitgliedsstaaten. Das scheint mir zuwenig und nicht adäquat um wirklich globale Probleme effektiv angehen zu können.

Schreibe einen Kommentar


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +