Theodor Mommsen und die römische Expansion

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Literatur und Geschichtswissenschaft sind untrennbar miteinander verknüpft. Besonders deutlich zeigt sich diese Verbindung in der Literaturnobelpreis-Verleihung von 1902. Ausgezeichnet wurde Theodor Mommsen mit seinem Werk über die „Römische Geschichte“ in drei Bänden (1854 bis 1856). Insgesamt hat Mommsen über 1500 Studien zum Römischen Reich publiziert.

Noch immer diskutiert wird seine These über den ‚Aufstieg Roms‘. Die römische Behauptung, dass sie keine „Eroberungspolitik trieben und stets die Angegriffenen gewesen seien“[1] ist nach Mommsen mehr als eine römische Redensart. Er sieht den Aufstieg Roms durch einen defensiven Imperialismus belegt, beginnend 264 v.Chr. mit dem ersten Punischen Krieg, endend 146 v.Chr. mit dem Fall Karthagos und Korinths. Die Idee des defensiven Imperialismus basiert auf dem Konzept des bellum iustum von Cicero. Gerechtigkeit ist nach Cicero der einzige Grund aus dem sich die römische Republik an Kriegen beteiligt. Cicero streitet ab, dass Rom Kriege bewusst provoziert.[2] Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist fraglich und bestätigt vor allem Ciceros prorömischen Standpunkt. Als öffentliche Rechtfertigung zieht Rom nur in den Krieg, wenn es sich um einen bellum iustum, einen Verteidigungskrieg zum Schutz seiner eigenen Existenz oder zum Schutz von Bundesgenossen, handelt. Ein bellum iustum ist nach Cicero auch zur Strafe für vorangegangenes Unrecht als Revanche gegeben.[3] Realiter offenbart sich eine Lockerung des Legalitätsprinzips, beispielsweise im Ultimatum Roms an Philipp V. von Makedonien.[4]

Obwohl Anfang und Ende des römischen Imperialismus umstritten sind, sehen die Befürworter die defensive Haltung Roms als bestätigt. Mommsen sieht das Verhalten Roms von Aktion und defensiver Reaktion durch ein ausgeprägtes Sicherheitsempfinden bewahrheitet.[5] Daneben werden auch dem Ehrgeiz und persönlichen Interesse Einzelner oder Gruppen ein kleiner Anteil im Expansionsdrang eingeräumt.[6] Trotzdem bleibt nach Mommsen die errungene ‚Weltherrschaft‘ ein Produkt des äußeren Zwangs. Die Hegemonie wird von den Römern nicht aus eigener Intention angestrebt.[7]

Obwohl William Vernon Harris die Meinung Mommsens mit seiner Aussage „all that the Romans wanted, it has often been said, was to rid themselves of ‘frightening neighbours”, aufgreift, sieht er die These des defensiven Imperialismus kritischer.[8]

Die Übertragung des Begriffs ‚defensiver Imperialismus‘ als Erklärung für den bellum iustum der Römer ist schwierig und die Meinungen gespalten. Zumindest aus Sicht der Gegner verbietet sich ein solcher Vergleich ganz. „Während ein Teil der Wissenschaftler bei der Übertragung des Begriffs keine Schwierigkeiten hat […], spricht sich der andere Teil gegen die Anwendung oder allenfalls nur einer Anwendung mit großen Einschränkungen aus.“[9]

Der Versuch einen neuzeitlichen Begriff auf antikes Verhalten zu beziehen ist gewagt. Insbesondere die Verbindung zum neuzeitlichen Kolonialismus und Imperialismus ist schwierig. Trotz allem lässt sich die Bedeutung der territorialen Expansion für den Aufstieg und Machtzuwachs der res publica nicht leugnen. Es bleibt offen, ob sich der erfolgreiche Aufstieg Roms alleine durch das Sicherheitsbedürfnis entwickelte oder realiter ein Zufallsprodukt war. Die Theorie des defensiven Imperialismus ist auch durch die überseeischen Kriege in Spanien und Kleinasien sowie die zunehmende römische Aggressivität nach 200 v.Chr. anzuzweifeln.


[1] Theodor Mommsen: Römische Geschichte, Bd. 1, Norderstedt 2009,S. 121.

[2] Vgl. Cic. rep. III 35.

[3] Vgl. Cic. off. II 26, 10.

[4] Vgl. Polyb. XVI 27, 1-2 und XVI 32, 3-4.

[5] Jochen Bleicken: Geschichte der Römischen Republik, 6., über. Auflage, München 2004, S.170.

[6] Vgl. Ebd. Bleicken: Geschichte der Römischen Republik, S.170.

[7] Vgl. Ebd. Bleicken: Geschichte der Römischen Republik, S.146.

[8] William Vernon Harris: Imperialism in Republican Rome, New York / Oxford 1979, S.163.

[9] Waldimir Danilow: Römischer Imperialismus in Germanien? Römische Germanienpolitik des frühen Prinzipats, Magisterarbeit, Norderstedt 2008, S.5.

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Herzlich Willkommen! ‚Geschichte‘ ist ein Sammelbegriff für unendlich viele Geschichten: Geschichten von Menschen, Begriffen, Gruppen, Ereignissen, Ideen, Umbrüchen, Kulturen, Grenzen, Unterschieden, Mentalitäten, […]. Es gibt keine menschliche Eigenheit ohne Geschichte. Ich werde euch kurze Einblicke in die Alte Geschichte geben. Warum Alte Geschichte? Aus Leidenschaft und weil es mein Studienschwerpunkt ist. Eure Jessica Koch

15 Kommentare

  1. Liest sich hier sehr gut, vielen Dank für diese Reflexion.
    Sehr schön auch die Rückführung auf die ‘res publica’, sehr interessant, auch kulturalistische Sichten meinend.
    MFG
    Dr. W

  2. Die These scheint schon plausibel , soweit ich informiert bin , wurden die Römer von ihren direkten Nachbarn in “Italien” angefeindet , als sich zeigte , daß sie zu einem zunehmenden Machtfaktor in der Region werden , und da Angriff die beste Verteidigung sein kann….
    Gegen Karthago waren die Römer wohl einfach strategisch klüger , indem sie zunächst in der Defensive blieben.

    Was spricht gegen eine Mischung aus beidem , beim Aufstieg waren die Römer oft die Sieger in tatsächlichen Verteidigungskriegen , als sie selber eine Großmacht waren , war die Versuchung zu groß ,und sie wurden selber zum Aggressor .
    Gab es das nicht schon häufiger , z.B. beim Aufstieg der Engländer?

    • Jeder Civilization-Player, pardon: Gamer, weiß, dass “kontrollierte Offensive” (Otto Rehhagel) keine Maßgabe ist, die “das Licht unter den Scheffel stellt’, insofern könnte Verteidigung immer auch Ausbau bedeuten, eine Erkenntnis, die zuletzt allgemein politisch vielleicht ein wenig zurückgestellt worden ist.

      Andererseits gibt es Konzepte wie das sogenannte Sendungsbewusstsein und den American Exceptionalism, hmm, schwierig.

      MFG
      Dr. W (der generell zu einer kleinen Recherche das Latinische Wesen betreffend anrät)

    • “… daß sie zu einem zunehmenden Machtfaktor in der Region werden …”

      Ist es denn nicht so, daß es heute im nun “freiheitlichen” Wettbewerb noch immer genauso zugeht, mit dem Unterschied, daß die Maßnahmen der kolonialen Ausbeutung als Verstärker wirken – Die Globalisierung sollte, wie der Grundgedanke der EU, dies alles befrieden???

  3. Der Bellum iustum passt zum Imperium iustum, das Rom wohl sein wollte. Es geht sicher um das angestrebte Selbstbild, wenn sich die Römer als Verteidiger und nicht als Aggressoren sehen, als Verteidiger eines Reiches, in dem das Gesetz gilt. Und wo das Gesetz nicht galt, nämlich ausserhalb des römischen Reiches, dort gab es wohl in den Augen eines Römers auch keine Zivilisation, dort wohnten die Barbaren (wie die Griechen gesagt hätten). Nicht umsonst hat die römische Göttin Justitia kein Eben- oder Vorbild in einer griechischen oder anderen Gottheit, es ist eine genuin römische Erfindung. Napoleons Code Civil geht auf das römische und nicht etwa auf das griechische, babylonische oder irgend ein anderes Recht zurück, ja das gesamte Justizwesen der modernen Welt startete mit den Rechtsbegriffen. die die Römer schuffen.
    Wer vom Recht und der Gerechtigkeit her denkt – so wie das die alten Römer eben taten -, der fühlt sich sowieso nicht als Aggressor, sondern als Verteidiger des Rechts und Träger der Fackel, die die Welt erhellt.
    Die römische Behauptung, dass sie keine „Eroberungspolitik trieben und stets die Angegriffenen gewesen seien“, könnte in den Augen eines überzeugten Römers so oder so richtig sein, denn die ganze Welt ausserhalb des römischen Reichs war ja eine Welt ohne Gesetz, war eine Welt ohne das römische Recht und damit eine Welt, die allein durch ihre Existenz einen Angriff auf die Welt bedeutet, in dem das Recht gilt.

  4. Martin Holzherr:
    “Nicht umsonst hat die römische Göttin Justitia kein Eben- oder Vorbild in einer griechischen oder anderen Gottheit, es ist eine genuin römische Erfindung.”

    Naja, die alten Griechen hatten Themis und Dike. Im engeren Sinne waren das alle inkl. Justitia keine vollgültigen Göttheiten wie z.B. Juno, Minerva etc.
    Dagegen hatte die Victoria einen Altar im Senat, da hat man offenbar Prioritäten gesetzt.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Streit_um_den_Victoriaaltar

    Was Rom auch Europa hinterlassen hat, ist die Rechtfertigung von Kriegen durch juristische Kriegsgründe, auch wenn sie an den Haaren herbeigezogen und fadenscheinig sind. Irgendjemand wird es schon glauben, irgendein Hofchronist wird es überliefern.

  5. In Anlehnung an das, was Martin Holzherr und Paul Stefan geschrieben haben:
    1. Die römische Standard-Fiktion der Allgültigkeit römischen Rechts belegt römischen Imperialismus. Mit einem schlichten cui bono kommt man doch eher zu dem Schluss, dass aktiv Situationen hergestellt wurden, die durch römische Agression gewinnbringend genutzt werden konnten.
    2. Das römische Prozedere der Schaffung symbolischer Voraussetzungen für die klassisch römische Verteidigungskriegserklärung ist von absurdem Formalismus geprägt um Anscheinsgründe zu konstruieren.
    Nach dem Stand heutiger Jurisprudenz war dieses Vorgehen eine Farce und selbstverständlich würden diese Verteidigungskriege heute kaum als solche durchgehen. Außer natürlich bei denen, die sie unter Lügengebäuden angezettelt haben um was auch immer damit zu bezwecken.

    Rom war ungefähr so sehr Opfer seiner agressiv-barbarischen Nachbarn z.B. der Griechen, Ägypter, Keltiberer und überhaupt aller Völkerschaften, die es jemals Erobert hat, wie es die die Invasionstruppen aller Zeiten waren, die auch immer nur befreit und befriedet haben,… oder wie die USA heute Opfer ist, im Irak, in Afghanistan und überall anders, wo man aus besten Gründen mit besten Absichten intervenierte, um Freiheit und Wohlstand zu bringen.
    Im Mittelalter war man dann praktisch genug, das römische Prozedere in einen schichten Satz zu komprimieren: Deus lo vult!

  6. Kann man den 3. punischen Krieg tatsächlich in irgendeiner Form als Verteidigungskrieg rechtfertigen? Wenn mich meine Erinnerung an den Geschichtsunterricht nicht trügt, haben die Römer die Karthager bewusst in die Vertragsverletzung getrieben.

  7. ach was Gerald Fix, das verstehst du nur nicht.
    Rom ist wie der friedliebende Nachbar, der seine Nachbarn ringsum verklagt, weil sie ihn in seiner Persönlichkeitsentfaltung hindern und terrorisieren, mit der Wäscheleine, dem Rasenmäher, dem Kirschbaum, dem lauten Kindergeburtstag im Garten. Und dann hat im richtigen Leben so ein korrupter Stasi-Richter noch den Schneid das Nachbarschaftsopfer zum Justizopfer zu machen und etwas von Querulantentum zu murmeln. Da will der gute Nachbar eben nicht zwangspsychiatrisiert werden und verlegt sein hilfloses Tun ins weiträumige Ausstreuen von Giftköderlies und ja, gelegentlich, an Spaziergängen sehr früh am Morgen und sehr spät am Abend, da fallen ihm auch schon mal Nägel unter die PKWs seiner Nachbarn. Er kann da nix für und würde so gern in Frieden leben…
    Nur das Rom sein eigener Richter ist, wie praktisch.

  8. @Martin Holzherr

    Guter Punkt , der Grat ist schmal zwischen der Verteidigung der eigenen Werte und dem immer undifferenzierteren Selbstbild , sowas wie die überlegene Spezies zu sein , eine Haltung , die sich für die Römer bitter gerächt hat.

    Was für eine Parallele zu heute , die heutige Faszination für das untergehende Westrom hat wohl auch mit dem instinktiven Gefühl zu tun , vielleicht selber in einer ähnlichen Entwicklung zu stecken.

  9. “Trotzdem bleibt nach Mommsen die errungene ‚Weltherrschaft‘ ein Produkt des äußeren Zwangs.”

    – Die logische Symptomtik des “Zusammenlebens” im geistigen Stillstand seit der “Vertreibung aus dem Paradies”, wie ein wachstumwahnsinniges Krebsgeschwür, des nun “freiheitlichen” Wettbewerbs um …

    Der “äußere Zwang”, wird fortwährend mit instinktiver / wettbewerbsbedingter Schuld- und Sündenbocksuche kompensiert, bzw. ist Teil der nun perfektioniert-bewußtseinsbetäubenden Bildung zu systemrational-konfusionierter / profit- und konsumautistischer Suppenkaspermentalität. 😉

  10. Es geht sicher um das angestrebte Selbstbild, wenn sich die Römer als Verteidiger und nicht als Aggressoren sehen, als Verteidiger eines Reiches, in dem das Gesetz gilt. Und wo das Gesetz nicht galt, nämlich ausserhalb des römischen Reiches, dort gab es wohl in den Augen eines Römers auch keine Zivilisation, dort wohnten die Barbaren.

    Oh ja, das klingt wie die EU, da wird Deutschland ja auch am Hindukush und die Freiheit in der Ukraine oder wahlweise eine “Allianz der Willigen” gebildet, die ohne UN Mandat mal eben in den Irak einrollen um in diesem rückständigem von Wirtschaftsblockaden gequältem Land mobile Urananreicherungsfabriken zu vernichten, wozu ja als Begründung eine Powerpoint-Animation reicht.
    So ähnlich hat Cato der Ältere auch schon für die Vernichtung von Karthago Stimmung gemacht.
    Wie sich die Zeiten gleichen, man hat wirklich nichts aus der Geschichte gelernt…
    Aber wie die Geschichte zeigt, am Ende saßen die Barbaren auf den Thron.

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