Nachlese: Soziale Medien und Wissenschaftskommunikation

Zwei Wochen sind nun seit dem Workshop in Berlin vergangen, und ich freue mich über die Gelegenheit, in einem weiteren Gastbeitrag noch einige Informationen und Gedanken nachschieben zu können.

Zunächst: Es freut mich sehr, dass die Expertisen doch bereits jetzt zugänglich gemacht werden können; während und im Nachgang der Veranstaltung gab es einige entsprechende Anfragen und großes Interesse daran, die Grundlagen unserer Impulsvorträge ausführlich nachlesen zu können. Meine Expertise steht hier als .pdf zum Download bereit und die Folien meiner Präsentation sind auf Slideshare zu finden.

Ein zweiter Punkt: Ich empfand die kurzen Stellungnahmen direkt im Anschluss an meine Präsentation wie auch die Rückfragen und Wortbeiträge aus dem Publikum sehr hilfreich und weiterführend. Über den Bericht zur Veranstaltung, den Reiner Korbmann in seinem Blog “Wissenschaft kommuniziert” veröffentlicht hat, habe ich mich allerdings gewundert. Dass die Veranstaltung aus seiner Sicht “wenig ergiebige[..] Expertisen” [letzter Absatz] präsentierte, mag mit unterschiedlichen Erwartungen an und Vorstellungen über die Aufgabenstellungen der Expertisen zu tun haben; das Feedback, das mich erreichte, deckt sich mit diesem Eindruck jedenfalls nicht. Und das Urteil, der Workshop sei “zur Demonstration [geworden; JHS], wie schwer sich eine Gesellschaftswissenschaft wie die Kommunikationswissenschaft tut, die Folgen eines Medien- und Gesellschaftswandels zu verstehen” [erster Absatz], kann ich überhaupt nicht teilen. Ich fühle mich als einer der beteiligten Kommunikationswissenschaftler (Leyla Dogruel und Klaus Beck kommen von der Arbeitsstelle Kommunikationspolitik/Medienökonomie; Henning Lobin hingegen ist Computerlinguist) vielmehr angesprochen und herausgefordert, hierzu einige Bemerkungen zu machen.

Es stimmt: Die Kommunikationswissenschaft hatte einige Jahre lang Probleme damit, solche Medienangebote und kommunikative Praktiken als legitimen Gegenstand anzusehen und begrifflich-theoretisch zu fassen, die sich Modellen der “öffentlichen Kommunikation” oder auch der “Publizistik” entzogen. Aber in den 2010er Jahren kann davon m.E. nicht mehr die Rede sein, im Gegenteil: Der Medien- und Gesellschaftswandel, den die digitalen Medien anstoßen und den die sozialen Medien derzeit in besonderer Weise verkörpern, ist längst im Kern gegenwärtiger kommunikationswissenschaftlicher Forschung und Debatte angekommen, wie nicht zuletzt das Programm der just in diesen Tagen stattfindenden Jahrestagung der DGPuK zeigt.

Die Kommunikationswissenschaft ist insbesondere schon weiter, als einige Bemerkungen im Blogbeitrag unterstellen. So heisst es dort:

“Greifen wir lieber zwei in Berlin übersehene – für die Wissenschaftskommunikation besonders wichtige – Unterschiede zu den herkömmlichen Medien heraus: Erstens schaffen die Sozialen Medien ein völlig neues Machtgleichgewicht der Sender und der Empfänger von Informationen. Wer Informationen senden wollte, für den waren bislang die Hürden hoch – Kapitalbedarf, technische Möglichkeiten, erforderliche Infrastruktur und Knowhow – so dass nur relativ wenige Menschen (darunter die Journalisten als Mitarbeiter von Sendern oder Verlagen) Informationen verbreiten konnten. Sie wurden damit zu Gatekeepern. In den Sozialen Medien aber kann jeder, ohne irgendwelche Voraussetzungen außer persönlichem Engagement, zum erfolgreichen Sender mit praktisch unbegrenzter Reichweite und Wirkungsstärke werden.

Zweitens ist – wohl als Folge der fehlenden Vormachtstellung des Informations-Senders – der Stil der Kommunikation in den Sozialen Medien weniger die Verkündung, sondern sehr viel stärker dialogisch orientiert – um es plastisch zu machen: weniger der Vortrag als das Gespräch. Jeder fühlt sich auf Augenhöhe – mit allen Folgen: es gibt keine Kommunikationshierarchie, jeder Beitrag ist gleichwertig, institutionelle oder professionelle Autoritäten ziehen nicht mehr, Sprache und Umgangsformen reichen von der Fachsprache und elegantem „Wissenschaftlersprech“ bis hin zur offenen Kritik, zur Unterstellung, ja sogar zu persönlichen Beleidigungen oder zum „Shitstorm“” [4./5. Abschnitt]

Nun ist es so, dass diese Aspekte in Berlin durchaus zur Sprache kamen, u.a. in meiner Diagnose von der “Konvergenz von Konversation und Publikation”, die die sozialmedialen Intermediäre unterstützen (Folie 10), in Bemerkungen zur “Mitmach-Hälfte” des Partizipationsparadox (Folie 11) und v.a. im Hinweis auf unterschiedliche Arenen der Online-Öffentlichkeit (Folie 6), denn die “kollaborative Öffentlichkeit” und die “persönliche Öffentlichkeit” sind ohne die gesunkenen technischen Hürden für das zur-Verfügung-stellen von Inhalten aller Art nicht denkbar.

Gerade mit den Arenen und den vorgeschalteten “gattungstheoretischen” Überlegungen zur Unterscheidung von Microcontent, Kanal und Angebot sowie der daran anknüpfenden Charakterisierung der Intermediärsrolle von Plattformen lässt sich m.E. auch deutlich differenzierter über “die” Sozialen Medien reden. Unter anderem wird dann nämlich deutlich, dass die Mechanismen der Auswahl und Aufbereitung von Informationen inklusive der geteilten kommunikativen Erwartungen an Sprache und Umgangsformen nicht quasi-automatisch an ein bestimmtes Angebot oder an “die Sozialen Medien” in Gänze gekoppelt sind, sondern sich je nach Kommunikationskontext bzw. je nach Arena unterscheiden. Kurz: Ein und dieselbe Person kann einen Science-Blog-Eintrag mal im Stil eines wissenschaftlichen Aufsatzes mit Fussnoten, mal als wissenschaftspopulärjournalistisches Erklärstück, mal als persönlichen Rant verfassen.

Aber in den zitierten Bemerkungen drückt sich ausserdem auch ein (verbreiteter) technikdeterministischer Fehlschluss aus, nämlich genau hier [Fettung von JHS]:  “In den Sozialen Medien aber kann jeder, ohne irgendwelche Voraussetzungen außer persönlichem Engagement, zum erfolgreichen Sender mit praktisch unbegrenzter Reichweite und Wirkungsstärke werden.” und weiter unten noch einmal: “Das meines Erachtens größte Problem, das Wissenschaftler mit den Sozialen Medien haben, wurde in Berlin trotz aller Definitionen nicht erwähnt: Es gibt keine Informationshierarchien mehr. Der Blog oder der Tweet des weltweit bekannten Wissenschaftlers wiegt genauso schwer wie der eines Studenten oder gar eines Esoterikers, für den Kommentar zum Blogpost oder für den Antwort-Tweet steht genauso viel Raum zur Verfügung wie für den Anstoß. Kommunikation, in der sie nicht ganz oben in der Hierarchie stehen, sind Wissenschaftler aber nicht gewohnt. Entsprechend schwer wird es ihnen fallen, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen.

Diese Vorstellungen, in denen letztlich wiederum ja auch viele Hoffnungen oder Versprechungen gründen, Soziale Medien würden verzerrende bzw. einschränkende Gatekeeper überflüssig machen oder öffentliche Kommunikation demokratisieren, sind empirisch nicht zutreffend. Es gibt bei allen Gattungen und Angeboten der sozialen Medien deutlich erkennbare Hierarchien in der Reichweite (gemessen an Followern, Friends, Subscribern, o.ä.) und in der Zentralität in Netzwerken viraler Verbreitung. In vielen Fällen korreliert diese Reichweite und Zentralität entweder mit so etwas wie “etablierter Markenkraft” (ob nun von publizistischen Marken, von renommierten Institutionen oder Organisationen im Wissenschaftsbereich, oder von individueller ‘Celebrity’) oder mit persönlicher Expertise im jeweiligen Thema. Es ist zwar für eine Person oder Institution ohne solche Ressourcen nicht ausgeschlossen, ebenfalls Reichweite und Zentralität aufzubauen – aber es ist auf keinen Fall mal eben so möglich, wie es in den zitierten Textstellen anklingt.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es gibt auch eine Reihe von Punkten, wo ich mit Korbmanns Einschätzungen absolut übereinstimme. Auf einen davon will ich zum Abschluss auch noch eingehen: In der Tat wurde die Rolle von Wissenschaftskommunikatoren in Berlin nicht ausführlich beleuchtet und diskutiert. Ich habe mir das als Merkposten für eine Überarbeitung der Expertise auf die Buchpublikation hin schon vorgemerkt und bei Gesprächen am Rande der Tagung auch schon einmal in die Richtung vorgedacht, in die ich das Argument dann wohl entwickeln werde: In der Expertise gehe ich bereits kurz darauf ein, dass die vier Arenen (massenmediale Öffentlichkeit; Expertenöffentlichkeit; kollaborative Öffentlichkeit; persönliche Öffentlichkeit) für analytisch-heuristische Zwecke getrennte Einheiten bilden, faktisch aber Informationen auf vielfältige Weise zwischen ihnen fließen. Wissenschaftskommunikatoren nehmen eine ganz wesentliche vermittelnde Rolle zwischen den Arenen ein, insoweit sie Erkenntnisse aus dem Kern der Expertenöffentlichkeit in andere Arenen tragen (helfen). Aber wie das im Detail funktioniert – darüber muss ich mir noch einmal ausführlicher Gedanken machen. 🙂

 

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Dr. Jan-Hinrik Schmidt (*1972) ist wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg. Nach seinem Studium der Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der West Virginia University (USA) promovierte er 2004 mit einer Arbeit über den lokalbezogene Internetangebote. Von 2005 bis 2007 war er stellvertretender Leiter der Forschungsstelle „Neue Kommunikationsmedien“ an der Universität Bamberg. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Onlinemedien, und hier insbesondere in den Veränderungen, die soziale Medien wie Facebook, Twitter oder YouTube für Beziehungen, Informationsverhalten, politische Teilhabe und gesellschaftliche Öffentlichkeit bringen. Ergebnisse seiner Forschungsarbeit sind in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht; sein jüngstes Buch „Social Media“ richtet sich aber ausdrücklich an nicht-wissenschaftliche Zielgruppen, die die Entwicklungen des Internets in den letzten Jahren verstehen und eingeordnet sehen wollen. Er bloggt unter http://www.schmidtmitdete.de und twittert als @janschmidt.

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